Dienstag, 24. September 2013

Meine Mutter, Teil 2

Mit einem Stundenlohn von ein paar Schilling aus der Arbeit in der Fabrik war es unmöglich, die 5.000 Schilling aufzutreiben. Ja, irgendwann vielleicht. Aber Krebs kennt keine Geduld und somit beschloss meine Mutter Geld für sexuelle Dienstleistungen zu verlangen. Auf die Idee kam sie, als sie per Autostopp regelmäßig von Purkersdorf nach Wien und retour unterwegs war. Die öffentlichen Verkehrsmittel nahmen damals noch keine Rücksicht auf die Sperrstunden des Tanzlokals in Hütteldorf und somit war sie spätabends auf diese Transportmöglichkeit angewiesen. Einmal wollte ein Mann etwas von ihr, als er sie im Auto mitnahm. Sie verlangte Geld dafür und bekam es. Ab dann nützte sie jede freie Minute neben der Arbeit in der Fabrik dafür, in Purkersdorf und Umgebung an der Straße zu stehen und Geld zu verdienen.

Sie war kurz davor die 5.000 Schilling beisammen zu haben, als sie von der Polizei aufgegriffen und vom Jugendamt wieder fremduntergebracht wurde. Als schon aktenkundige Jugendliche kam sie diesmal in eine Erziehungsanstalt nach Wiener Neudorf, die für ihre brutalen Erziehungsmethoden bekannt war, die „Bundesanstalt für erziehungsbedürftige Mädchen“, geführt von den „Schwestern vom Guten Hirten“. Neben der Anstalt „Kaiser-Ebersdorf“ für Buben galt diese als „Endlager“ aufmüpfiger Jugendlicher. Unter Mitwirkung des prominenten österreichischen Psychiaters Erwin Ringel passierte dort Schreckliches mit den Mädchen. Beispielsweise wurden sie dazu gezwungen ihr Erbrochenes wieder zu essen. Wie im Gefängnis gab es die Älteren, die Frischankömmlinge brutal misshandelten, einfach weil es bei ihnen auch so war. Die Nonnen sahen weg, weil sie sich bei der Einschüchterung somit nicht selbst die Hände schmutzig machen mussten. Waren sie später noch immer widerspenstig und ungehorsam, kamen sie in die "Korrektion". Das war ein Verlies im Keller, wo man eine Art Einzelhaft absitzen musste. Der Raum war kalt, dunkel und ohne Möbel. Abends wurde ein Strohsack hineingeworfen, der in der Früh wieder abzugeben war.

Die Insassinnen mussten den ganzen Tag schwere Arbeit leisten. So gesehen war diese Anstalt ein Zwangsarbeitslager, in dem einem die Identität geraubt wurde. Den persönlichen Namen mussten die Mädchen beim Eintritt abgeben genauso wie die eigene Kleidung. Stattdessen mussten sie in die taubengraue, kratzige Anstaltskleidung schlüpfen. Unterhose gab es eine pro Woche, die am Ende kontrolliert wurde, ob sie eh nicht schmutzig ist. Warmwasser beim Duschen war die Ausnahme. Wenn es Besuch der Behörden gab, wurde alles schön hergerichtet und es gab gutes Essen. Aber nur dann. Der Alltag bestand aus Gebet, harte Arbeit und Erniedrigung mit den Worten: „Wir können mit euch machen was wir wollen, denn euch mag draußen eh niemand, sonst wärt ihr nicht hier.“

Als kurze Zeit später die Adoptivgroßmutter stirbt, bekommt meine Mutter nur einen Tag Ausgang für das Begräbnis. Während ihre Adoptivmutter oft geschäftlich zu tun hatte, war es sie, die fast immer für das Mädchen da war. Mit 19 Jahren erreichte sie dann die Großjährigkeit und wurde in die Freiheit entlassen. Ihrer Adoptivmutter ging es da gesundheitlich schon sehr schlecht und das Haus war noch immer nicht fertig gebaut. Ganz im Gegenteil, weil es nicht fertig war, wurde es schon wieder leicht baufällig. Doch statt Geld für die Instandsetzung gab es nur Schulden. Nur vier Monate nach der Entlassung stirbt auch die Adoptivmutter. Die Nacht nach dem Begräbnis übernachtete meine Mutter am Friedhof neben dem Grab.

Schon bald darauf meldeten sich die Gläubiger, bei der sich ihre Adoptivmutter Geld ausgeliehen hatte. Haus und Grund waren die einzigen Dinge von Wert. Das Gericht entschied, dass alles verkauft werden muss, damit die Gläubiger ihr Geld bekommen. Meine Mutter sollte dafür eine kleine Wohnung in Wien erhalten. Ein Termin wurde auch fixiert, bis zu dem eine erste hohe Rate fließen sollte, sonst würde die Versteigerung in die Wege geleitet. Meine Mutter hatte ganz allein mit ihren 19 Jahren keine Möglichkeit ohne Berufsausbildung diese hohe Summe in der kurzen Zeit aufzutreiben.

Hier gab es eine Weiche in ihrem Leben. Entweder die Chance mit der Wohnung nützen, was bedeutet schuldenfrei ein neues Leben in Wien zu beginnen mit einer Ausbildung zum Traumberuf Krankenschwester oder den Versuch wagen, fristgerecht das Geld zum Gericht zu bringen. Sie entschied sich für letzteres und ebnete damit den Weg in die Prostitution. Sie verkaufte ihre Seele für ein Stück Land, das davor eine Müllhalde war, mit einem unfertigen Haus darauf und einem Haufen Schulden.

Meine Mutter mit 17 Jahren
Das neu erbaute Haus, wie es im besagten Zeitraum aussah

Dienstag, 17. September 2013

Meine Mutter

Jene Person, über die ich bis dato am wenigsten geschrieben habe, ist meine Mutter. Sie ist die zentrale Figur in dieser Geschichte. Deshalb habe ich sie mir für zuletzt aufgehoben. Mit ihrem Leben sind alle bisherigen Episoden verwoben. Was nun kommt wird einiges erklären, aber es ist keine Entschuldigung für das Leid, das sie mir zugefügt hat. Wie jeder Mensch hatte auch sie immer mehrere Entscheidungsmöglichkeiten und als erwachsene Person muss auch sie die Konsequenzen ihres Handelns zu hundert Prozent verantworten – bis zum heutigen Tag.

Meine Mutter wurde als Elisabeth Lanzenbacher am 14. März 1944 geboren, also mitten im Krieg. Zu diesem Zeitpunkt gab es schon zwei um ein paar Jahre ältere Geschwister in der Familie. Ihre Eltern lebten als Bauern und bestellten einen Hof in Atzling, nahe Pyhra bei St. Pölten. Ihr Vater war Soldat. Auf einem Heimurlaub war die Hochzeit mit seiner schwangeren Frau geplant. Doch eine Biene stach ihn im Gesicht, das daraufhin so sehr anschwoll, dass die Hochzeit auf den nächsten Heimurlaub verschoben wurde. Dazu sollte es aber nicht mehr kommen, er kam nie wieder aus Russland zurück. Und so kam meine Mutter als Halbwaise zur Welt. Der entbindende Dorfarzt kam zu dem Schluss, dass der jungen Mutter sicher alles über den Kopf wachsen würde. Ohne Mann zwei Kinder aufziehen und noch den Hof bestellen wäre schon genug Herausforderung. Da passte ein Neugeborenes nicht hinein. Deshalb leitete er eine Adoption in die Wege.

Adoptiert wurde sie von einer Frau, die zwar mit keinem Mann liiert war, aber noch mit ihrer Mutter zusammen lebte. Somit hatte meine Mutter eine Mama und eine Oma gewonnen. Eine fixe männliche Bezugsperson fehlte aber. Ihre neue Mutter war Geschäftsfrau und hatte einen Modezeitschriftenverlag. Das besondere an den Heften war, dass darin Schnitte für die selbständige Erzeugung von Kleidungsstücken abgedruckt waren. Gemeinsam mit einer Nähanleitung konnte frau damit ein Stück Stoff zu einem neuen Kleidungsstück verarbeiten. Nach dem Krieg hatten wenige Familien das Geld für Gewand aus dem Kaufhaus. Somit waren diese Hefte begehrt. Sie lebten zu dritt in einer Wohnung eines Mehrfamilienhauses in Gablitz. Das Geschäft lief gut und deshalb sollte ein Haus her. Ihre Adoptivmutter pflegte immer wieder Beziehungen zu Männern.

Einer dieser Männer, sein Name war Weidinger und von Beruf Polizist, spielte dann eine nicht unwesentliche Rolle in ihrem Leben. Er hatte schon eine Tochter aus einer vorangegangenen Beziehung. Diese brachte er in die Verbindung zur Adoptivmutter ein. Immer wenn meine Mutter mit ihr gemeinsam unterwegs war musste sie als die ein wenig ältere der beiden auf sie aufpassen. Dieser Mann entsprach dem Klischee des bösen Stiefvaters. Bei Vollmond betrank er sich, kam dann in der Nacht nach Hause, wurde aggressiv und war in Prügellaune. Er schlug sie oft, auch ungerechtfertigter weise, wenn seine Tochter etwas angestellt hatte, und benachteiligte sie wo er nur konnte. Zu den Strafen gehörte auch das Knien auf einem Sack mit rohen Erbsen. Mit ihm begann ihre Adoptivmutter ein Haus in Purkersdorf zu bauen. Als es fast fertig war beschloss er, wieder zu der Mutter seiner Tochter zurück zu kehren. Im Zuge dessen stellt er die gesamten Arbeitsstunden am Haus inklusive Aufstellung mit jeweiligem Datum in Rechnung. Als hätte er das von Anfang an geplant gehabt. So viel Geld war flüssig nicht verfügbar und somit wurde der erste Kredit aufgenommen. Ein fataler Fehler, denn mit dem Wirtschaftsaufschwung brach auch das Geschäft mit den Modezeitschriften ein, was ein späteres, wiederholtes Aufstocken des Kredits unumgänglich machte. Also anstatt die Schulden abzubauen, wurden sie stetig mehr.

Einmal war „der Weidinger“, wie sie ihn bis heute nennt, mit meiner Mutter aus irgendeinem Grund allein im Wald unterwegs. Sie war damals 12 oder 13 Jahre alt. Er nützte die Gelegenheit und betatschte sie anzüglich. Sie ließ es sich gefallen, sagte aber dann, sie würde es verraten, wenn er sie weiter so schlecht behandle. Ab dann war es besser mit ihm. Die Lektion war, dass sie mithilfe ihres begehrenswerten Körpers bei Männern das erreichen kann, was sie will. Mit dieser Erkenntnis ging sie raus in die Welt und stürzte sich in ihr junges Leben. Aber scheinbar nicht so, wie es sich zu dieser Zeit für einen weiblichen Teenager gehörte, denn das Jugendamt wurde auf sie aufmerksam.

Damals war sie jung, wild, ungehorsam und trieb sich schon mit Buben herum. Heutzutage wäre ihr Verhalten ganz normal. Doch die Fürsorge steckte das „schlimme Mädchen“ zur Strafe ins Kloster zum Guten Hirten in Obersiebenbrunn. Ohne Vorankündigung wurde sie in einer Nacht- und Nebelaktion in der Silvesternacht 1957 auf 1958 von der Polizei im Nachthemd abgeholt. Ihre Mutter konnte nichts dagegen tun. Im Erziehungsheim musste sie sechsmal am Tag beten. Eines Tages fiel sie in der Kirche um. Was sie damals nicht wusste: Sie war schwanger, aus der Zeit vor dem Heim. Der Mann, mit dem sie zu dieser Zeit in Beziehung war bekannte sich zu dem Ungeborenen. Er war schon 24 Jahre alt und hatte eine abgeschlossene Lehre. Gemeinsam mit der Adoptivmutter wollte er mit einem Strauß Blumen seine schwangere Freundin besuchen, doch die Verantwortlichen ließen ihn nicht zu ihr. Ihnen wurde gesagt, dass sie beide zu jung für eine Elternschaft wären. Da half es auch nichts, dass sich die Schwiegereltern sogar bereit erklärten, das Kind die ersten Jahre in Pflege zu nehmen. Meiner Mutter wurde der Kontakt zu ihm verboten, und weil nicht klar war, wann sie aus dem Heim entlassen wird, ging die Beziehung in die Brüche.

Doch nicht schon genug des Unglücks, erpressten sie die junge Mutter mit ihrer zuvor geraubten Freiheit. Sie schlugen ihr folgenden Deal vor: Sobald das Baby geboren ist gibt sie es zur Adoption frei und an jenem Tag, an dem neue Eltern gefunden sind, bekommt sie ihre Freiheit zurück und wird nach Hause entlassen. Ein Deal, wie aus der Feder des Teufels, untergebracht war sie aber bei Nonnen. Als 14-Jährige war ihr die Freiheit wichtiger. Sie willigte also ein und musste darüber hinaus noch unterschreiben, dass sie nie Nachforschungen nach ihrem Sohn anstellen würde.

Noch schwanger wurde sie in ein Mütterheim nach Graz gebracht, in dem es strikte Arbeitszeiten gab: 7:30 bis 12 Uhr und 13:30 bis 18 Uhr. Wochenlang strickte sie Pullover. Wenn sie sich beeilte, ging sich einer am Tag aus. Eine Strickwarenfirma ließ die frische Ware abholen. Das ist Zwangsarbeit, wie sie damals für viele jungen Menschen triste, alltägliche Realität war. Für schlechte Kost und Logis. Als Pensionszeiten wurden diese Jahre später nicht angerechnet. Ein Missstand, der bis heute noch von keiner Regierung ausgeräumt wurde.

Sie arbeitete bis zur Entbindung und gleich nach der Geburt ging es weiter. Eine alte Schwester passte auf ihren Buben auf, während sie bügelte, die immer gleiche Naht einer Schürze mit der Maschine steppte oder Taschentücher mit der Hand säumte. Abends nach der Arbeit schaute sie jeden Tag nach ihrem Baby. Doch eines Tages, als er zehn Monate alt war, ist das kleine Bettchen leer. Im ersten Moment ein Schock. Doch gleichzeitig wusste sie, dass sie bald wieder zu Hause bei ihrer Mutter und Großmutter sein würde. Aber das Wiedersehen war von einer beunruhigenden Neuigkeit überschattet. Bei ihrer Mutter war zwischenzeitlich Krebs diagnostiziert worden.

Nach dem Verlust einer Lehre zur Steuerberaterin, weil sie ein Mal am Montag nicht erschienen war, fing sie in einer Textilfabrik in der Färberei an zu arbeiten. Dann las sie von einem Ort in Italien, wo es angeblich eine Klinik gibt, die den speziellen Krebs ihrer Mutter heilen kann. Dafür bräuchte sie aber 5.000 Schilling. Für damalige Verhältnisse ein Vermögen.

Weidinger ganz rechts, seine Tochter ganz links. Adoptivmutter hinter Adoptivoma, rechts daneben meine Mutter
Meine Mutter mit ihrem ersten Sohn

Montag, 9. September 2013

Meine väterlichen Wurzeln

Wie schon erwähnt, ist nun meine Abstammung von Pepi Matauschek sicher. Ein Grund, sich ihn und seine Herkunft genauer anzusehen.

Zur Vaterschaftsfeststellung möchte ich noch folgendes erörtern: Pepi Matauschek hatte einen Bruder und dieser wiederum zwei Söhne, meine Cousins. Die Hypothese des Gerichts war, dass wir alle folglich denselben Großvater haben müssten und sich das genetisch über die männliche Linie leicht feststellen lässt. Das Gericht lud sie beide vor, eine Speichelprobe abzugeben. Einer weigerte sich partout, aber der andere gab sie nach mehrfacher Aufforderung dann doch ab. Und tatsächlich: Über seine und meine Probe wurde der gemeinsame Großvater nachgewiesen! Das Gerichtsverfahren dauerte 1,5 Jahre. Aber am 3. Jänner 2012 wurde endlich der entsprechende Beschluss verfasst. Ich habe ihn an den Eintrag vom 6. September gehängt, weil ich für heute schon viel Bildmaterial vorgesehen habe. Nachdem es keinen wirklichen persönlichen Kontakt mit meinem Erzeuger gab, bleibt mir nur eine Sammlung von Zeitdokumenten. Davon gibt es zum Glück reichlich.

Pepi Matauschek entstammt nämlich einer legendären Wienerlied-Familie, der sogar lange nach deren Hochblüte eine CD gewidmet wurde. Folgend ein Auszug aus dem Booklet dieser CD: „Gebrüder Hans, Fritz (mein Großvater) und Karl haben zu ihrer Zeit nicht nur die Entwicklung des Wienerliedes als aktive Musikanten mitgestaltet, sie waren auch Inspiration und Vorbild für einige Generationen von Sängern. Und nicht zu vergessen – in ihren Lokalen waren auch die bedeutendsten Wienerliedkomponisten jener Jahre anzutreffen, als Stammgäste und als Klavierinterpreten bzw. -begleiter.“

Pepi Matauschek wuchs in diesem Umfeld auf, eignete sich das Spielen von Klavier bzw. Ziehharmonika an und lernte die Wienerlieder seiner Zeit sozusagen im Vorbeigehen mit. Später begann er eine Lehre zum Drogisten. Der Krieg kam dann dazwischen und er sollte diesen Beruf nie ausüben. Seine um zehn Jahre ältere Schwester heiratete eine Limonadenfabrikanten, in dessen Firma er irgendwann einstieg. Die Firma Getränke Ammersin gibt es heute noch www.ammersin.at. Als meine Mutter in kennen lernte war er dort Prokurist. In Pension ging er in einer hohen Position bei der E.A. Generali.

Über die Familie Matauschek gibt es sogar eine Diplomarbeit aus dem Jahr 1985, die ich als Kopie bei mir habe. Sie entstammt der Feder einer gewissen Maria Walcher, welche später das Wiener Volksliedwerk leiten sollte und dann zur Generalsekretärin des österreichischen Volksliedwerkes aufstieg. 1985 war er 60 Jahre alt. Im Zuge der Diplomarbeits-Interviews wurden die beiden Freunde und sie ermutigte ihn dazu, wieder die Ziehharmonika zu quetschen. Schließlich hatte er ein Repertoire im Kopf, das in dieser Form niemand spielen konnte und welches ein Bindeglied zwischen dem Wienerlied von Gestern und Heute darstellte. Nach einer mühsamen Zeit des Übens bei dem das alte Können wieder hervorgeholt wurde, gingen sie dann sogar auf Tournee und gaben einen Wienerlied-Kurs auf der Wiener Volkshochschule. 1995 erhielt er für sein Wirken rund um das Wienerlied das Goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich.

Sein Bruder war mit Trude Mally, einer berühmten Wienerliedsängerin, verheiratet. Die Ehe ging in die Brüche aber nach Jahrzehnten beschlossen Pepi Matauschek und sie wieder gemeinsam aufzutreten. Das war in den 1990ern. Bei einem oder zwei dieser Auftritte war auch ich anwesend. Er wollte aber nicht, dass es zu einer auffälligen Begegnung kommt. Mit „der Sohn von der Taxlerin“ gab ich mich in der Pause oder nach dem Auftritt zu erkennen. Das war aber nur der Rahmen für eine persönliche Zusammenkunft, aber keiner für ein Kennenlerngespräch. Es wäre an ihm gelegen, mich zu einem Extratreffen einzuladen. Das tat er aber nicht.

Im Juni 2000 beschloss ich nicht länger auf die Einladung zu warten und ihn einfach aufzusuchen. Ich bat meine Mutter mir einen Kontakt herzustellen. Doch leider erfuhr sie in diesem Zusammenhang, dass er am 19. Jänner desselben Jahres wegen Probleme mit den Rückenwirbeln ins Spital musste und nach monatelangem Leiden am 5. Juni verstorben war. Scheinbar waren wir doch über ein unsichtbares Band verbunden. Mein Wunsch nach Kontakt und das zeitgleiche Ableben können aus meiner Sicht nicht reiner Zufall sein. Doch leider hatte ich knapp die Gelegenheit verpasst ihn kennen zu lernen.

Lange Zeit stand er bei mir auf einem Podest. Doch heute nehme ich ihm übel, dass er nie den Kontakt zu mir gesucht hat. Zumindest heimlich hätten wir uns treffen können. Ich kann auch nicht darüber hinwegsehen, dass er, von seinem baldigen Ableben wissend, er mich trotzdem nicht über meine Mutter einlud, ihn im Spital aufzusuchen. Auch hat er mich nicht in seinem Testament berücksichtigt. Es wäre für alle genug da gewesen. Er besaß ein großes Haus in Breitensee, Ländereien und sehr wahrscheinlich auch sonstiges Vermögen. Wenigstens nach seinem Tod hätte er zu mir stehen können. Aber das wollte seine Frau wahrscheinlich nicht. Sie wusste von mir. Es gibt einen Brief von ihr an meine Mutter in dem sie u.a. um Vorsicht hinsichtlich Krankheiten bittet und sich als diejenige sieht, die zu diesem Zeitpunkt in Bezug auf ihren Mann den Kürzeren zieht. Am Ende hat sie dann doch irgendwie gewonnen.

Das Vermögen wurde am selben Tag, an dem sie es erbte, auf jemand anderen überschrieben: Leo Gasparin. Tragischerweise ist diese Person eine Art Adoptivsohn, den die beiden lieb gewonnen hatten, weil sie ja gemeinsam keine Kinder bekommen konnten. Sie lernten seine Eltern und ihn kennen, weil sie als Kroaten in Wien Urlaub machten und im Hotel meines Onkels abstiegen. Nach etlichen Urlauben und Jahren bleib er dann in Wien um hier eine Ausbildung zu machen und zog bei Pepi Matauschek ein. Sie wollten ihn wirklich adoptieren. Aber wegen einer Fahrerflucht nach einem Unfall mit Personenschaden war er vorbestraft, was die Adoption verhinderte. Sogar ihre Kontakte zu einem Minister namens Soronitsch konnten daran nichts ändern. Bis zum Tod von Pepi Matauschek lebte er in dessen Haus und tut das gemeinsam mit der Witwe wahrscheinlich bis heute noch. Ihm gehört jetzt alles, obwohl es keine leibliche Verwandtschaft gibt. Und trotzdem ich gerichtlich anerkannter Sohn bin, habe ich keinen Zugriff auf „mein“ Erbe. So gern ich etwas davon hätte, wäre es doch nur ein schwacher Trost für die verkorkste Beziehung zu meinem Erzeuger Pepi Matauschek.

CD-Booklet der oben genannten CD; Foto: Mein Großvater mit meinem Vater (Mitte) und Onkel
Flyer des Wienerlied-Kurses auf der Volkshochschule
Flyer der Auftritte, wo ich auch war
Pate mit Leo Gasparin auf selber Stufe wie die Witwe
Gedenkveranstaltung mit Präsentation einer In Memoriam-CD

Freitag, 6. September 2013

Mein Erzeuger

Nachdem ich erfahren hatte, dass mein bisheriger Vater es sicher nicht sei drängte sich natürlich die Frage auf, wer es denn sonst sein sollte. Als Antwort bekam ich den Namen Josef (Pepi) Matauschek. Für mich war er bis zu diesem Zeitpunkt ein Bekannter meiner Eltern. Ich kannte ihn flüchtig vom Sehen bei uns zu Hause. Er hatte aber keine Rolle in meinem Leben gespielt. Ich erinnerte mich daran, dass er sehr groß war, mir meine erste Armbanduhr geschenkt hatte und auch eine Kinderziehharmonika mit der ich aber nichts anzufangen wusste, weil sie mir niemand erklärte.

Für meine Mutter war er angeblich die Liebe ihres Lebens. Auch ihn lernte sie als Kunden auf dem Strich kennen. Das war im Oktober 1972. Sie war 28 und er 47 Jahre alt. Aus einer geschäftlichen wurde eine Liebebeziehung. Er war scheinbar wohlhabend, denn die ganze Zeit, die er mit ihr verbrachte zahlte er. Er kaufte sie quasi von den anderen Kunden frei indem er ihr das Geld gab, das sie mit anderen Kunden in derselben Zeit verdient hätte. Nur so war es gegenüber ihrem Partner (meinem „Vater“) auch gerechtfertigt. Denn nur als Kunde war er geduldet. Sie gingen gemeinsam (mitunter sogar zu dritt) ins Theater, in die Oper oder zum Heurigen.

Meine Mutter und er beschlossen gemeinsam ein Kind zu zeugen. Er konnte mit seiner Frau keine bekommen. Deshalb ging meine Mutter mit ihm gemeinsam sein Sperma testen mit dem Ergebnis, dass er fruchtbar war und es somit nicht an ihm lag. Mit meinem „Vater“ wollte sie kein Kind, denn sein erster (und einziger) Sohn Roman war problematisch, angeblich war er in der Sonderschule oder sonst was. Genau habe ich mich nie danach erkundigt. Roman und seine Mutter waren ein Tabuthema bei uns zu Hause.

Der Plan war also, dass jeder beim damaligen Partner bleibt und meine Mutter mit der Prostitution aufhört. So wurde auch die Idee geboren stattdessen ein Taxiunternehmen zu gründen. Pepi Matauschek übernahm bei der Konzession und dem ersten Taxi sogar einen Großteil der Kosten. Wie sie das meinem „Vater“ unverdächtig erklärten ist mir ein Rätsel. Schließlich wurde ich ihm auch noch als Kukukskind untergejubelt. Am Tag meiner Geburt hatte sie einen kleinen Autounfall. Die offizielle Version ist, dass ich wegen der daraus resultierten Aufregung seitens meiner Mutter als Frühchen zur Welt kam. Vielleicht drückte mein „Vater“ auch alle Augen zu, weil Pepi Mautauschek (ab nun „Erzeuger“ genannt) einfach so viel Geld in ihre und somit auch seine Richtung fließen ließ. Es war also alles gut eingefädelt und ich trug die Lebenslüge bis zu seinem Tod mit, wenngleich er unbewusst vielleicht einen Verdacht hegte. Das würde auch erklären, warum er sich bei meiner Betreuung und Versorgung raus hielt und alles meiner Mutter überließ, wenngleich ich ohnehin die meiste Zeit nicht da war. Er sprang nur ein, wenn es gar nicht mehr anders ging, beispielsweise wenn sie aus beruflichen Gründen unabkömmlich war. Trotzdem hatten wir aber auch unsere guten Momente. Zum Beispiel gemeinsame Saunaaufgüsse, Formel 1 im Fernsehen anschauen oder Drachensteigen gehen. Das möge an dieser Stelle fairerweise auch festgehalten sein.

Zurück zu den Bemühungen meines Erzeugers, meine Mutter von der Prostitution weg zu bringen. Er fuhr mit ihr tagelang im Taxi mit und erklärte den Fahrgästen, es wäre ihr erster Tag und sie würde sich sonst zu unsicher fühlen. Ihr sollte damit das Taxifahren mit der Zeit erträglicher werden. Dafür verdoppelte er ihr anfangs sogar den erfahrenen Umsatz. Ohne Erfolg. Er setzte sich mit ihr zu Hause hin und drängte sie dazu, bei jedem Anruf eines Kunden zu sagen, dass sie nicht mehr verfügbar wäre. Ohne Erfolg. Er setzte einen Privatdetektiv auf das Haus an. Dieser dokumentierte, wann ein Kunde kam und ging. Dann konfrontierte er sie damit und warf ihr verständlicherweise vor, von ihr hintergangen zu werden. Ohne Erfolg. Ihr war das Geldverdienen einfach wichtiger als die Loyalität zu ihm. Und im Hintergrund flüsterte ihr mein „Vater“ im Eigeninteresse ein: „Doppeltes Geld in der Hälfte der Zeit.“ Es war die finanziell ertragreichste Zeit ihres Lebens. Sie verdiente als Callgirl, beim Taxifahren und mit ihrem besten Stammkunden, Pepi Matauschek. Es dauerte nicht lange und er warf entnervt das Handtuch. Meine Mutter agierte schon da nach dem Motto: Geld vor Beziehung und Gefühlen von Menschen. Wie bereits erwähnt eine Tatsache, die mein Leben in weiterer Folge maßgeblich mitprägen sollte.

Mein Erzeuger und sie trafen sich dann irgendwann nur mehr einmal im Monat, jedoch so lange, bis ich meine erste Berufsausbildung 1996 mit 21 Jahren beendet hatte. Bei diesen Treffen übergab er ihr Alimente in der Höhe von 4.000 Schilling, die er freiwillig bezahlte. Bei der Gelegenheit erzählte sie ihm von meiner Entwicklung und zeigte ihm fallweise auch die aktuellsten Fotos. Leider legte meine Mutter das Geld nicht auf ein Sparbuch, sondern ließ es in das allgemeine Budget einfließen. Damit wurden beispielsweise Internat und Ferienlager beglichen. Jahre später, als ich meinen „Vater“ mit meiner miesen Kindheit konfrontierte, rechnete er mir vor, wie viel Geld ich im Laufe der Jahre gekostet habe und wollte mir damit beweisen, dass ich ja „alles“ hatte. Das wäre eine gute Gelegenheit gewesen, ihm von den Alimenten und dem Hintergrund dieser Zahlungen zu erzählen. Doch ich schluckte das aus Loyalität meiner Mutter gegenüber hinunter.

1995 auf dem Cover des "Bockkeller"
Die Zeitung des Wiener Volksliedwerks
3. Jänner 2012: Feststellung der Vaterschaft durch das BG Josefstadt 

Mittwoch, 4. September 2013

Mein "Vater"

Hier ist nun die Rede von dem Mann, der offiziell die Vaterschaft anerkannte und ist jener, der mit meiner Mutter bis zu seinem Tod zusammen gelebt hat. Diesen Mann nannte ich „Papa“. Es gibt derzeit kein Wort, das ausdrückt, was er für mich war und ist. Er war zumindest von allen Männern jener, der die meiste Zeit an meiner Seite verbrachte, wenngleich das auch nicht viel war.

Er wurde 1937 geboren. Sein Vater starb im Zweiten Weltkrieg an der Front. Für seine Mutter, meine „kleine Oma“, war er ab dann der einzige Mann in ihrem Leben um den sie sich den Rest ihres Lebens kreisen sollte, denn sie war danach nie wieder liiert. Sie bekam von der Gemeinde Wien als Kriegswitwe eine kleine Gemeindewohnung mit einem Holzofen und kaltem Fließwasser. Um sich und ihren Sohn durchzubringen nahm sie Gelegenheitsjobs wie Putzen gehen oder Nüsseknacken an, denn Beruf hatte sie keinen gelernt. Damals war der Mann der Familienerhalter, während die Frau zu Hause bei den Kindern blieb. Das war auch der Plan, bis ihr Hitler einen Strich durch ihr Leben machte. Gegen Ende des Krieges wurde er, wie damals viele Kinder, „zur „Erholung“ ins Ausland geschickt. Er kam nach Holland. Die Pflegeeltern wollten ihn sogar adoptieren, aber dem willigte seine Mutter natürlich nicht ein.

Aufgrund der Kriegswirren mussten sie mehrmals umziehen und er deshalb öfters die Schule wechseln oder pausieren. Seine schlechten Zeugnisse waren gut versteckt. Niemand sollte sie je zu Gesicht bekommen. Er wollte Elektriker werden, fand dann aber keine entsprechende Lehrstelle und begann als Schlosserlehrling. Diese Ausbildung machte er aber nie fertig. Angeblich führte das Hantieren mit dem vielen Metall dazu, dass er Bettnässer wurde, weshalb er die Lehre beenden musste. Klingt dubios, könnte aber auch so gewesen sein. Letztendlich landete er bei der Post als Briefträger.

Er lernte eine Burgenländerin kennen, sie heirateten und bekamen einen Sohn namens Roman. Sie hatten um eine größere Wohnung angesucht, denn sie wohnten noch immer alle zusammen in der kleinen Wohnung auf 30 Quadratmetern. Unter Anderem kam es deshalb zu Streitigkeiten und Gewaltausbrüchen. Er war grundsätzlich ein eher gemäßigter Charakter, konnte aber sehr cholerisch werden. Schließlich wurde die Ehe bald geschieden. Bei der Scheidung gab sie zu Protokoll, dass er den Sex verweigert hatte, weshalb sie mit einem anderen Mann fremdging.

Es war Mitte der 1960er-Jahre und er war in seinen Endzwanzigern, als er am Strich meine Mutter kennen lernte. Sie waren sich sympathisch und sie nahm ihn zu sich nach Hause. Das Haus, in dem meine Mutter damals lebte, hatte sie mit viel Schulden von ihrer Adoptivmutter geerbt. Es war noch nicht ganz fertig gebaut und schon wieder baufällig. Als er das sah, fing er tags darauf gleich an, sich in Haus und Garten nützlich zu machen. Das imponierte meiner Mutter, denn er war nicht der Erste, den sie zu sich nach Hause mitgenommen hatte. Die anderen Männer wollten keine Finger rühren und meinten, sie könnten ja jetzt ihre Arbeit kündigen, schließlich verdiente meine Mutter ja ohnehin genug Geld für beide. Mit dieser offensichtlichen Zuhältermentalität konnten sie bei meiner Mutter nicht punkten. Aber dieser Mann war anders. Auch er kündigte seinen Job, aber ihm war klar, dass er sich einen anderen Job suchen würde, einen der zu den Arbeitszeiten meiner Mutter passte. Und somit wurde er Beleuchter in einem Nachtlokal, dem Maxim.

Gemeinsam ließen sie Haus und Garten herrichten, während sie gleichzeitig kleinweise die Schulden abbezahlten. Anfang der 1970er-Jahre war dann das kleine Idyll perfekt. Fertig für Nachwuchs. Zum Ausprobieren legten sie sich einen Hund zu, einen Königspudel namens Hexi. Immer wieder beklagten sich die Nachbarn, weil Hexi oft alleine zu Hause war und in den Keller gesperrt wurde, weshalb sie stundenlag bellte. Damals wurde schon sichtbar, dass meine Eltern nicht bereit waren, ihr Leben den Bedürfnissen eines anderen Lebewesens anzupassen.

In meinem Geburtsjahr 1974, er war mittlerweile 36 Jahre alt, sattelten meine Eltern beruflich um und gründeten ein Taxiunternehmen. Sie war die Unternehmerin und er ihr Angestellter. Beide machten sie den Taxischein. Er war wieder kein guter Schüler und aufgrund schlechter Aussichten auf eine positive Prüfung musste meine Mutter schon hochschwanger für den Prüfer die Beine breit machen. Somit war sein Durchkommen gesichert.

Wie schon in einem anderen Eintrag erwähnt, war der Plan, dass sie ab meiner Geburt nicht mehr auf den Strich geht, die besten Kunden weiterhin zu Hause empfängt und irgendwann auch Geld mit dem Taxifahren verdient. Sie versuchte es auch, doch dieser Job behagte ihr nicht besonders und es gab ein schlagendes Argument dagegen, das er immer wieder ins Treffen führte: Meine Mutter konnte in der halben Zeit das Doppelte verdienen. Somit war der Plan zum Scheitern verurteilt und jenes Lebenskonzept, innerhalb dessen ich hätte halbwegs normal aufwachsen können, auch.

Er war wesentlich an diesem Scheitern beteiligt, weil er meine Mutter eher dahingehend beeinflusste ihren Job weiter auszuüben, als ihr das Taxifahren schmackhaft zu machen. Letztendlich lief alles in seine Richtung: Er war nun Haus(mit)besitzer mit zwei Mercedes in der Garage, es war anfangs genug Geld da (zB für protzigen Goldschmuck, den er gern zur Schau trug) und ich wurde bald abgeschoben, damit dem Geldverdienen nichts im Wege stand. Somit hatte er sie die meiste Zeit für sich allein, so wie er es von seiner Mutter gewohnt war. Als er meine Mutter kennenlernte, lebte er mit seiner Mutter in einer winzigen Gemeindewohnung und besaß ein Moped, das er noch nicht abbezahlt hatte. Für ihn hatte sich die Bekanntschaft somit in jeder Hinsicht ausgezahlt. Er war zwar auf den ersten Blick kein Zuhälter, jedoch hatte er diese Mentalität (mittlerweile) verinnerlicht.

Viele Jahre später konfrontierte ich ihn mit meiner miesen Kindheit. Doch er war gänzlich uneinsichtig und meinte nur, ich hätte ja alles gehabt. Aus seiner Sicht stellte das materielle Auslangen den größten Wert dar, weil er diesbezügliche Entbehrungen in der Kindheit hinnehmen musste. Aber die eigene, sich um einen kümmernde Mutter an der Seite, das war wenig wert, denn das war in seinem Leben immer vorhanden. So gesehen hatte ich ja wirklich „alles“. Es gab nie wieder eine diesbezügliche Aussprache.

65-jährig ging er 2002 in Pension. Bis dahin träumte er von so vielen Dingen, die er sich somit erfüllen würde, wie zum Beispiel gemeinsame Reisen mit meiner Mutter. Nach einer weitgehend selbst durchgeführten Hausrenovierung wurde er jedoch immer träger und frönte die meiste Zeit seinem Lieblingshobby, dem Fernsehen. Kurz nach Pensionsantritt schafften es meine Eltern für zwei Jahre mit dem Rauchen aufzuhören. Doch dann fing meiner Mutter nach dem Tod einer guten Bekannten wieder damit an und er zog mit. 2007 wurde bei ihm dann nach mehr als 50 Raucherjahren Lungenkrebs festgestellt. Es gab dann sogar zwischenzeitlich Erfolgsmeldungen und eine Verbesserung seines Gesundheitszustandes, doch er rauchte weiter und starb letztendlich Anfang November 2009.

Im Juni 2010 ging ich dann zu einem Anwalt und leitete eine Vaterschaftsfeststellung in die Wege, weil ich mir endlich sicher sein wollte, wer denn wirklich mein Vater war. Bis dahin gab es nur diese Geschichte meiner Mutter, die aber viele Lügen in ihrem Leben verbreitet hatte. Trotzdem wartete ich aus Loyalität ihr gegenüber mit diesem Schritt so lange zu. Nach einem zähen und langwierigen Verfahren war es dann am 9. Jänner 2012 amtlich: Ich stammte wirklich nicht von ihm ab. Aber von wem dann? Mehr zu meinem Erzeuger gibt es im nächsten Eintrag.

Mein Vater als Kind mit seinen Eltern
Mein Vater in jungen Jahren
Gemeinsam bei meinem 14. Geburtstag in der Küche des Elternhauses

Dienstag, 3. September 2013

Sexuelles Erwachen

Meine Mutter wurde mit meiner Geburt unfruchtbar, für sie eine persönliche Tragödie, aber beruflich war das sicher kein Nachteil. Ich wuchs ohne Packungen von Binden oder Tampons im Haushalt auf. Aber meine Mutter hatte immer einen länglichen Bausch Watte zwischen den Beinen. Ich nehme an, der hatte den Zweck, das Sperma aufzufangen, das ihr die Kunden davor in den Bauch gespritzt hatten. So stellt es sich im Nachhinein betrachtet zumindest für mich dar. Wie in den meisten Familien liefen auch wir nackt voreinander herum. Ab der Pubertät eines Kindes wird das dann hinterfragt und eventuell zum Problem. Aber bis dahin sah sie mich und ich sie regelmäßig nackt beim Umziehen. Dabei fiel mir immer schon diese Watte auf. Ich fand das damals schon ekelig.

Bei uns zu Hause gab es in der Küche Kalender mit nackten Frauen an der Wand. Auch sonst wurde über Sexualität offen gesprochen. Das Thema wurde für meinen Geschmack zu breit getreten, speziell die Sexualität meiner Mutter war irgendwie immer präsent. Es lagen immer wieder Kondome herum. Anfangs dachte ich es wären Luftballone. Später wusste ich dann schon, weshalb sie meine Mutter in ihre Handtasche nachfüllte.

Mein erstes Aufklärungsbuch war für Acht- bis Zwölfjährige vorgesehen. Ich bekam es mit sechs Jahren. Meine Mutter ging es mit mir gemeinsam durch. Sie fühlte sich extrem aufgefordert, mich in ihre Welt einzuführen. Schließlich war sie aus ihrer Sicht eine absolute Expertin auf dem Gebiet und auch eine der Besten... Apropos, von meinem Erzeuger erzählte sie mir, dass er extrem gut im Bett war und sie außerordentlich befriedigen konnte. Seine Selbstlosigkeit strich sie dabei immer hervor.  Das sollte auch jenes Bild prägen, das ich anfangs von einem guten Liebhaber hatte. Immer im Dienste der Frau. Diese Vorgabe setzte mich enorm unter Druck und in weiter Folge auch das weibliche Gegenüber.

Glücklicherweise spielte meine Mutter bei einem keine Rolle: Im ersten Gymnasium spielte ich im Schlafzimmer, welches ich mit drei anderen Kameraden teilte, vor dem Einschlafen an mir rum. Dabei passierte mir ein Orgasmus. Ich wusste nicht wie mir geschah, aber ich war von der Entdeckung begeistert. Mit den Jahren wussten die anderen im Zimmer auch bescheid und jeder versuchte es heimlich zu tun. Trotzdem bekam man es immer wieder mit. Die Möglichkeit es mit jemandem zu teilen kam mir nicht in den Sinn, bis ich einmal in der dritten Klasse bei einem Freund war, der mir einen Porno vorspielte und wir beide uns dabei selbstbefriedigten. Das war eine altersgemäße Erfahrung. Leider gab es auch eine Episode mit meiner Mutter, die aus heutiger Sicht total übergriffig und abnorm war.

Ich war 13 oder 14 Jahre alt, als meine Mutter mir einen eigenartigen Vorschlag machte. Sie meinte, sie wolle einen besonderen Film mit mir ansehen. Wir setzten uns vor den Fernseher, sie gab eine Videokassette in das Abspielgerät und los ging’s. Es war ein Pornofilm. Ich war eine so starke sexuelle Reizung noch nicht gewohnt und mein Penis wurde hart. Zuerst wollte ich das noch vor ihr verbergen. Aber mit der Zeit tat es schon weh und ich fing aufgrund der Unterdrückung an immer wieder am ganzen Körper heftig zu zucken. Das ist mir danach nie wieder passiert. Eine so starke Erektion musste ich danach nie wieder so sehr unterdrücken. Ich konnte schließlich nicht anders und fragte sie, ob es sie störte, wenn ich mich erleichtere. Sie meinte, es wäre kein Problem für sie. Kurze Zeit später war es vorbei. Es war mir sehr unangenehm, das vor ihr gemacht zu haben. Mittlerweile weiß ich, dass sie mich nie hätte in diese Situation bringen dürfen. Viele Jahre später stelle ich sie zur Rede. Sie erzählte mir folgende Geschichte.

Der im letzten Eintrag erwähnte Weinhappel drängte sie dazu, mich in die körperliche Liebe einzuführen. Eine seiner sexuellen Fantasien war generationenübergreifende sexuelle Handlungen innerhalb der Familie. Immer wieder konfrontierte er sie mit dieser Fantasie und meinte, es könnte mir nichts Besseres passieren, als von so einer Meisterin in die Sexualität eingeführt zu werden. Sie versicherte mir, sie hätte zwar immer wieder daran gedacht, wenn wir nebeneinander im Ehebett schliefen, doch es kam ihr vor, als wäre eine unendlich hohe, unsichtbare Mauer zwischen uns gewesen. ZUM GLÜCK! Nach langem Drängen machte sie dann diese Aktion und erzählte ihm, es wäre auch noch mehr passiert. Ab dann war das Thema seinerseits vom Tisch. Natürlich ist das keine Entschuldigung für diesen unerhörten Übergriff!

Ab diesem Erlebnis kannte ich den Kasten, in dem die Pornokassetten aufbewahrt waren und ich konnte nicht widerstehen, mir immer wieder heimlich einen Film anzusehen. Heutzutage ist das keine große Sache mehr, Teenager wachsen mit Pornos aus dem Internet auf. Damals war das noch sehr ungewöhnlich. Später beneidete ich all jene, die ihre Sexualität experimentell selbst erforschen konnten – ähnlich wie im Film „Die blaue Lagune“. Ich dachte mir oft, meine sexuelle Entwicklung wurde dadurch gestört. Aber nur weil das heute gang und gäbe ist, kann es ja nicht trotzdem so gewesen sein. Nachdem ich keinen Vergleich habe, kann ich das nicht beurteilen. Dazu gibt es sicher Fachliteratur.