Dies ist die außergewöhnliche Geschichte von jemandem, der seine Herkunft vertuschte und sein Leben an dem ausrichtete, was bei uns als richtig und erstrebenswert gilt. Der Versuch, aus Abnormität eine dem gängigen Lebensentwurf entsprechende Normalität hervorzubringen, erwies sich als gordischer Knoten. Dieser Blog markiert den Anfang dessen, nun zur eigenen Herkunft zu stehen, die jedem Menschen naturgemäß mitgegeben wird und für die niemand selbst zur Verantwortung gezogen werden kann.
Freitag, 25. Oktober 2013
Dienstag, 22. Oktober 2013
Der letzte Akt, Teil 2
Meine Mutter hatte also ihren zweiten Selbstmordversuch
hinter sich gebracht und lag wieder auf der Psychiatrie in Tulln. Beim ersten Besuch war sie immer noch auf der
Intensivstation, wo sie bewusstlos zwischen piepsenden Geräten lag und
künstlich beatmet wurde. Bei dem Anblick fragte ich mich immer, was ich mir
wünschen soll. Einerseits wusste ich, sie würde darunter leiden, dass sie
es wieder einmal nicht geschafft hatte und andererseits ist sie meine Mutter.
Kein Kind will, dass die Mutter für immer weg ist – egal wie alt es ist.
Auf
der psychiatrischen Station war sie dann immer schon ansprechbar. Jedes Mal fürchtete ich, sie würde mich nicht mehr erkennen, wenn sie mich danach das erste Mal wieder zu sehen bekam. Denn mindestens 100 Schlaftabletten einzunehmen hinterlässt Spuren. Während
des ersten Aufenthaltes in Tulln war sie sehr besorgt, dass jemand in das unbewohnte
Haus einbrechen könnte. Sie hatte Schmuck in einem Tresor im Keller. Diesmal
sagte ich ihr, dass ich ihn holen und für sie
aufbewahren würde. Ich eröffnete extra dafür ein Schließfach bei einer Bank,
holte den Schmuck und gab ihn dort hinein. Das war jener Teil,
den sie für jeden Tag im Haus aufbewahrte. Den Großteil hatte sie gemeinsam mit
Sparbüchern in einem Schließfach bei ihrer Hausbank. Auf den Sparbüchern lagen
in Summe zirka 100.000 Euro und der Schmuck dort war in etwa 30.000 Euro wert.
In dem Tresor im Haus fand ich auch noch eine andere Schmuckschatulle, die ich
auch an mich nahm. Später erfuhr ich, dass das ein Geschenk von Erich (siehe
Eintrag von 8. Oktober) an mich war. Darin war sein Schmuck und jener seiner
Frau. Er hatte zwar eine Tochter, aber
mit ihr war er schon lange sehr zerstritten – so sehr, dass sie Jahre vor
seinem Tod schon keinen Kontakt mehr hatten. Sein Plan war, dass ich ihn durch den Tod meiner Mutter letztendlich in meinen Besitz wandert.
Jene Person, zu der meine Mutter
am meisten Kontakt nach dem Tod meines Vaters 2009 hatte, war Frau T. Sie
ist selber über 80 Jahre alt, aber für ihr Alter noch sehr rüstig. Sie besuchte
meine Mutter regelmäßig auf der Psychiatrie. So kam es auch, dass sie meine
Mutter einlud, mit ihr in das Haus zu fahren um nach dem rechten zu sehen und
um sich noch Kleidung von dort zu holen. Im Zuge dessen sahen sie auch nach dem
Schmuck im Tresor. Doch der war nicht da, weil ich ihn ja wie vereinbart
aufbewahrte. Leider konnte sich meine Mutter aber nicht mehr daran erinnern,
weil sie scheinbar an jenem besagten Tag doch noch nicht so ganz da war. Für Frau T. war das ein gefundenes Fressen. Sie selbst hat nämlich einen Sohn, mit
dem sie zwar in einem Haus lebt, sie aber so zerstritten sind, dass sie kein Wort
miteinander reden und Frau T. sich sogar einen eigenen Eingang in ihren Bereich
hat bauen lassen. Sie verglich mich immer mit ihrem missratenen Sohn und war
insgeheim eifersüchtig, dass meine Mutter und ich ein vergleichsweise relativ
gutes Verhältnis miteinander hatten. Zurück in der Psychiatrie machte sie einen
regelrechten Aufstand und meinte, ich hätte meine Mutter bestohlen. Das warf
natürlich kein gutes Licht auf mich. Ich erzähle das deshalb so ausführlich,
damit das Folgende besser verständlich wird.
Für die nächste Entlassung gab es eine Auflage. Sie würde
nur wieder nach Hause kommen, wenn dort eine 24-Stunden-Betreuung eingerichtet
ist. So weit so gut. Nur gab es keine Möglichkeit zu bestimmen, wer diese
bereitstellen sollte. Es hieß, ein Pfleger der Einrichtung hätte gute Kontakte
zu einer Firma. Mir erschien das sehr dubios, dass man keinen Einfluss darauf
hat. Immerhin lebt man dann mit dem Pflegepersonal rund um die Uhr zusammen.
Dem entsprechend sollte das eine wohlüberlegte Entscheidung sein, wer mir
dieses Personal bereitstellt. In diesem Fall war es aber genau das Gegenteil.
Meine Mutter wurde in ihrem geschwächten Zustand dazu gezwungen, öffentlich mit
der Stations-Sozialarbeiterin von Tulln nach Maria Gugging zu fahren um den
Vertrag für die 24-Stunden-Pflege dort zu unterschreiben. Das war damals eine unglaubliche Strapaze für
sie und am Ende dieses Tages hatte sie dann einen Schwächeanfall. Als sie mir
das am nächsten Tag erzählte, traute ich meinen Ohren nicht. Doch es kommt noch
dreister. Ein paar Tage nach diesem Vorfall rief mich die Sozialarbeiterin an
und erklärte mir, dass ich mich nun darum kümmern müsste, dass die beiden
slowakischen Pflegerinnen offiziell ihren Dienst antreten können. Dazu sollte ich
mit ihnen auf die Bezirkshauptmannschaft gehen und sie dort melden. Eine der
beiden hätte aber noch keine Gewerbeberechtigung für Österreich. Darum sollte
ich mich auch kümmern. Ich war natürlich sehr aufgebracht. Nicht nur, dass ein Zwangsvertrag mit diesem Verein abgeschlossen wurde (ich vermute
Schmiergeldzahlungen dahinter), wurde ich auch noch dazu angehalten, dessen Arbeit zu
verrichten. Ich beschwerte mich, wusste aber gleichzeitig, dass auch ich keine
Wahl hatte. Und somit sagte ich, dass ich es machen würde, wenn sonst
niemand dafür in Frage käme. Einzige Bedingung meinerseits war, dass alles so
vorbereitet sein sollte, sodass ich das an einem Tag erledigen kann. Die
Sozialarbeiterin erzählte der behandelnden Oberärztin von dem Telefonat, worauf
hin sie meine Mutter zu einem Gespräch zitierte, in dem sie ihr die Tatsache
unterbreitete, in Zukunft besachwaltet zu werden. Nach
dem Gespräch rief mich meine Mutter ganz aufgelöst an. Darauf hin rief ich die
Oberärztin an und fragte sie was das soll. Sie meinte, ich wäre nicht
zuverlässig und wir könnten nichts mehr dagegen unternehmen. Ich entgegnete
ihr, die Sozialarbeiterin würde ihr bestätigen, dass ich
mich ja ohnehin bereit erklärt hatte. Diese könnte sich nicht fragen, denn sie wäre zwei
Wochen im Urlaub war die niederschmetternde Antwort.
Weder meine Mutter noch
ich waren auf so eine Wendung vorbereitet, denn bis heute ist sie zwar
psychisch labil aber geistig ganz klar. Somit war ich auch nicht
zeichnungsberechtigt für das Schließfach in der Hausbank, das Haus war nicht
auf mich überschreiben und es gab keine Vorsorgevollmacht. Sie
war mit sofortiger Wirkung enteignet und ich mit ihr. Ich bin ihr einziger Sohn
und noch dazu ausgebildeter Sozialarbeiter. Trotzdem wurde ich bis heute nicht
in Betracht gezogen, die Sachwalterschaft für meine Mutter zu übernehmen. Scheinbar steht wegen des oben ausgeführten Vorfalls nichts Gutes im zugehörigen Akt. Die
Entscheidung liegt bei Gericht, das die Sachwalterschaft an eine Anwaltskanzlei
vergab. Auch ein Rekurs, den ich für meine Mutter schrieb, half nichts.
Das
Gesetzt sieht vor, dass dem Sachwalter fünf bis zehn Prozent der laufenden
Einkünfte und jährlich zwei Prozent des Gesamtvermögens zusteht. Darüber hinaus
darf er auch Tätigkeiten, die eine juristische Expertise voraussetzen, extra
verrechnen. Das macht bei meiner Mutter in etwas 10.000 Euro jährlich aus. Ein
gutes Geschäft für einen Anwalt, weswegen es so gesehen in diesem Fall wohl klug war, es nicht dem Sohn zu überlassen. Besonders wenn man in Betracht zieht, wie wenig sich diese zuständigen Personen
um meine Mutter kümmern.
Ein Beispiel: Fünf Tage vor zweiten Entlassung wurde die Sachwalterin bei meiner Mutter vorstellig. Im Zuge dessen wurden ihr die Hausschlüssel übergeben. Meine Mutter wies auf die Heizung hin, die für den Winterbetrieb eingeschaltet werden musste, denn mittlerweile war es November und kalt. Fünf Tage sollten reichen, sich darum zu kümmern. Am Tag der Entlassung wurden aber dann ihre schlimmsten Befürchtungen wahr. Sie kam in ein Haus, in dem es sieben Grad hatte und als zuständige Pflegefachkraft hatte sie eine 19jährige Berufsanfängerin zur Seite gestellt bekommen, die kein Wort Deutsch sprach und heillos überfordert war. Null Vorbereitung des Hauses und inkompetentes Personal von einem Verein, mit dem ein Zwangsvertrag eingegangen werden musste. Ich begehrte zwar auf, wurde aber mundtot gemacht. Für eine Person wie meine Mutter, die das eigene Leben ohnehin schon als hoffnungslos empfand, war das keine besonders heilsame Situation, ganz im Gegenteil.
Ein Beispiel: Fünf Tage vor zweiten Entlassung wurde die Sachwalterin bei meiner Mutter vorstellig. Im Zuge dessen wurden ihr die Hausschlüssel übergeben. Meine Mutter wies auf die Heizung hin, die für den Winterbetrieb eingeschaltet werden musste, denn mittlerweile war es November und kalt. Fünf Tage sollten reichen, sich darum zu kümmern. Am Tag der Entlassung wurden aber dann ihre schlimmsten Befürchtungen wahr. Sie kam in ein Haus, in dem es sieben Grad hatte und als zuständige Pflegefachkraft hatte sie eine 19jährige Berufsanfängerin zur Seite gestellt bekommen, die kein Wort Deutsch sprach und heillos überfordert war. Null Vorbereitung des Hauses und inkompetentes Personal von einem Verein, mit dem ein Zwangsvertrag eingegangen werden musste. Ich begehrte zwar auf, wurde aber mundtot gemacht. Für eine Person wie meine Mutter, die das eigene Leben ohnehin schon als hoffnungslos empfand, war das keine besonders heilsame Situation, ganz im Gegenteil.
Ich kann jetzt
schon verraten, dass es auch im nächsten Eintrag keine Aussicht auf Besserung
gibt, sondern der Horror seinen Lauf nimmt.
Donnerstag, 17. Oktober 2013
Der letzte Akt, Teil 1
Im Jahr 2008 erstickte mein Ziehvater (mein genetischer Vater
verstarb schon im Jahr 2000) bei einem Restaurantbesuch fast an einem Stück
Fleisch. Obwohl er im selben Jahr erst ein Lungenröntgen hatte machen lassen,
das ihm eine altersgemäße Lunge und einen gesunden Thorax bescheinigte, enthüllte
eine anschließende Untersuchung einen Tumor nahe der Speiseröhre, der auch die
Lunge betraf. Die Bestrahlungen griffen und zu Weihnachten 2008 konnte er
wieder schlucken. Er rauchte schon seitdem er 16 Jahre alt war. Es gibt kaum
ein Foto, das ihn ohne Zigarette zeigt. Wenn man genau hinsieht, hält er sogar
auf jenem mit meiner Mutter und Hexi, das ich unterhalb des letzten Eintrages online
gestellt habe, eine in der Hand. Mit den guten Vorsätzen anlässlich des
Pensionseintritts schafften es meine Eltern sogar, mit dem Rauchen aufzuhören.
Doch dann fing meine Mutter nach zwei Jahren wieder an und er zog mit. Die
Diagnose veranlasste ihn diesmal nicht, das Kunststück zu wiederholen und so
schlug der Tumor nach den ersten Erfolgen im Jahr darauf zurück. Als hätte er
es gewusst, genoss er solange er noch schlucken konnte das Leben in vollen
Zügen – und das sah bei ihm folgendermaßen aus: Er ging jeden Tag fein gekleidet,
rasiert, frisiert, parfümiert und voll mit Goldschmuck in das Stadtcafe
Purkersdorf, wo er den Mann von Welt mimte, sich an den Gesprächen des
Stammtisches beteiligte, Kaffee trank und dabei genussvoll rauchte. Das war
seine Vorstellung vom guten Leben und er tat es solange ihm noch Zeit blieb. Am
3. November 2009, drei Tage vor seinem 72. Geburtstag, verstarb er zu Hause.
Bis zuletzt meinte er, es ginge ihm nicht so schlecht, obwohl er am Schluss
schon zu schwach für seine Lieblingsbeschäftigung dem Fernsehen war und nur
noch Radio hörte. Er wollte keinesfalls im Spital sterben und so redete er
seinen Zustand schön. Mein Mutter pflegte ihn aufopfernd und mit ihm ging ihr
der Lebensinhalt abhanden. Ihr ganzes Leben, zumindest so lange ich sie kannte,
beklagte sie sich darüber, immer für alle alles machen zu müssen, damit der
Laden läuft und selber dabei zu kurz zu kommen.
Nachdem alles erledigt war, was
nach einer Beerdigung so zu tun ist, fiel sie in ein Loch, denn nun war sie
allein. Sie hatte Geld auf der Bank, viel Schmuck, ein Haus mit Garten, einen
Mercedes in der Garage und Zeit, alles zu tun was ihr in den Sinn kommt.
Darüber hinaus war sie erst 65 Jahre alt und ihrem Alter entsprechend halbwegs
fit. Eine Situation, auf die viele Menschen hinarbeiten, viele kommen sogar niemals
in diese privilegierte Lage. Sie hatte die besten Voraussetzungen, sich es noch
einmal so richtig gut gehen zu lassen, ohne irgendjemandem Rechenschaft ablegen
zu müssen. Doch sie war von ihrem Leben ausgebrannt und sah keinen Lebensinhalt
für sich. Sie hatte keine Vorstellung von dem, wie man es sich gut gehen lassen
kann, weil sei es davor auch nie getan hatte. Also fiel sie in eine Depression,
von der sie mir nichts erzählte. Im September 2011 fragte sie mich, ob ich mit
Frau und Kind bei ihr einziehen wolle. Ich winkte dankend ab. Später erzählte
sie mir, dass es ab dann so richtig mit ihr bergab ging. Doch sie hielt das
damals geheim, denn sie schmiedete schon einen tödlichen Plan.
An einem Wochenende im Juni 2012 war ich von Samstag auf Sonntag
auf einer Hochzeit im Burgenland. Am Weg von dort nach Hause riefen mich die
Gegenübernachbarn meiner Mutter an und meinten, die Rollos an ihrem Haus wären
schon seit zwei Tage nicht hochgezogen worden und ich sollte nach dem Rechten
sehen. Am Weg nach Purkersdorf verständigte
ich auch Polizei und Rettung. Gemeinsam trafen wir ein. Ich schloss ihnen die
Türen auf, blieb selbst aber draußen. Meine Mutter lag im Keller auf dem Bett
neben der Sauna, wo sie früher ihre Arbeit verrichtete und war bewusstlos. In
ihrer Nähe wurden leere Schlaftabletten-Packungen gefunden, was auf einen Selbstmordversuch rückschließen ließ. Sie kam nach Tulln, zuerst auf die interne
Abteilung und dann auf die Psychiatrie. Sie überstand den Vorfall ganz gut und wurde
dann wieder nach Hause entlassen. Die Volkshilfe wurde im Rahmen der mobilen
Heimkrankenpflege damit beauftragt, jeden Tag bei ihr vorbei zu schauen. Ich holte
sie ab und gemeinsam gingen wir am Weg noch einkaufen. Alles deutete darauf
hin, dass sie es mit Unterstützung schaffen könnte, auch sie schien motiviert.
Am darauffolgenden Montag kam die Fallmanagerin zu ihr um zu erheben, was die
Heimhilfen bei den Besuchen zu tun haben. Im Zuge dessen wurde festgestellt,
dass meine Mutter kaum noch Bargeld bei sich hatte. Anstatt ihr das Angebot zu
machen, sie zur Bank zu führen meinte die Dame von der Volkshilfe, sie würde
mit der Bankomatkarte Geld abheben fahren. Meine Mutter äußerte Bedenken, die
mit folgender Aussage zerstreut wurden: „Das ist der Anfang unserer
Zusammenarbeit, die auf Vertrauen basiert. Das ist die erste Gelegenheit dieses aufzubauen.“ Meine Mutter bat um 300 Euro, die ihr auch gebracht wurden.
Einige Tage später fiel ihr das Besuchsprotokoll wieder in die Hänge. Beim genauen Durchlesen bemerkte sie, dass sie die Übernahme von 1.300 Euro
unterschrieben hatte. Nach telefonischer Rücksprache bei der die Fallmanagerin
behauptete, sie hätte 1.300 Euro übergeben, stornierte meine Mutter den
Vertrag. Mir erzählte sie von dem
Vorfall und ich empfahl ihr, Lehren für die Zukunft daraus zu ziehen, machte
aber auch klar, dass sie nichts dagegen machen konnte, denn sie hatte das
Protokoll ja unterschrieben. Von der Vertragskündigung erzählte sie mir nichts.
Am Freitag telefonierten wir und ich meldete mich über das Wochenende ab, denn
ich war wieder auf einer Hochzeit eingeladen.
Montagabend rief ich sie dann an, doch sie
ging nicht ans Telefon. In mir regte sich der Verdacht, dass sie es wieder
versucht haben könnte und ich fuhr nach Purkersdorf. Am Weg verständigte ich abermals
Polizei und Rettung. Diesmal war sie nicht im Haus auffindbar, weswegen wir im
Garten anfingen zu suchen. Die Suchaktion wurde schon fast als beendet erklärt,
weil sie scheinbar im Garten auch nicht war, als ich in einem Eck unter einem
Busch etwas entdeckte. Ich bat die Polizisten, dort genauer zu suchen. Und
tatsächlich, dort lag sie. Weil sie beim ersten Mal die Tabletten im Schlaf
erbrach, hatte sie sich ein Wollknäuel in dem Mund gesteckt und diesen
zugeklebt. Später stellt sich heraus, dass diesmal nicht 19 Stunden nach der
Einnahme vergangen waren, sondern nur fünf. Sie war zwar benommen aber noch
nicht bewusstlos. Sie machte mir nur einen Vorwurf, warum ich da war, denn
damit hätte sie nicht gerechnet. Wieder kam sie nach Tulln. Wer nun glaubt,
viel schlimmer kann es nicht mehr kommen irrt, denn das war erst das Vorspiel
zu dem, was noch folgen sollte. Doch das wird Gegenstand des nächsten
Eintrages.
Dienstag, 8. Oktober 2013
Meine Mutter, Teil 3
Schließlich schaffte es meine Mutter in letzter Minute den hohen Geldbetrag
der ersten Schuldenrückzahlungsrate fristgerecht abzuliefern und somit das Haus
in ihrem Besitz zu halten. Das war ihr aber nur als Prostituierte möglich. Wie
bereits erwähnt, ging es dann mit dem Eintreten des Mannes, der dann auch mein
offizieller Vater war, bergauf. Nachzulesen im Eintrag „Mein Vater“ vom 4.
September 2013.
Zwei außergewöhnliche Ereignisse gab es noch, auf die ich
nun eingehen will. In ihren Zwanzigern wurde sie zwei Mal ungewollt schwanger.
Wahrscheinlich weil sie es damals nicht so genau nahm mit der Verhütung. Ohne
Kondom zu arbeiten war zwar verpönt, aber gegen einen hohen Zuschlag wurde
schon mal darüber hinweggesehen. Es gab sexuell übertragbare Krankheiten, aber
noch keine wie HIV. Das wirkliche Problem damals war allerdings die Tatsache,
dass Abtreibung illegal war. Sie wurde zwar allerorts durchgeführt, aber im
privaten Rahmen von so genannten „Engelmacherinnen“ oder von Ärzten im
Hinterzimmer ihrer Praxen. Zu einem dieser Ärzte ging auch meine Mutter. Ein
Mal ging es gut. Doch beim zweiten Mal fing sie nach dem Eingriff an aus dem
Schritt zu bluten. Scheinbar war diesmal nicht alles ordnungsgemäß entfernt
worden. Die Blutung war sehr stark, weshalb sie schnell die Kraft verlor. Sie
konnte sich nur noch auf allen Vieren zum Nachbarn ins Nebenhaus retten. Dieser
rief ihren Hausarzt an. Aufgrund eines Missverständnisses war dieser dann am
Weg zum Nachbarn, während dieser meine Mutter in sein Auto packte und mit ihr
in die Praxis des Arztes fuhr. Dadurch verging wertvolle Zeit. Letztendlich
landete sie im Krankenhaus, wo die Blutung in letzter Sekunde gestoppt werden
konnte. Wegen dieses Vorfalls wurden Nachforschungen angestellt und der Arzt
flog auf. Er führte ein Notizbuch mit Namen aller Frauen, bei denen er illegale
Abtreibungen vorgenommen hatte. Unverständlicherweise mussten all diese Frauen für
drei Monate ins Gefängnis, während der Arzt nur eine bedingte Strafe ausfasste!
Unfassbar! Er war ein Serientäter, der gutes Geld damit verdiente, während die
Frauen wegen eine persönlichen Notsituation hilfesuchend zu ihm kamen. Auch
meine Mutter musste trotz des lebensbedrohlichen Vorfalls wegen der
verpfuschten Abtreibung ihre Strafe absitzen. Erst 1974, kurz vor meiner
Geburt, wurden Abtreibungen legalisiert.
Im Eintrag von 2. September erwähnte ich einen Vorfall, bei
dem mein Vater auf meine Mutter schoss. Der Grund war mein leiblicher Vater
Pepi Matauschek. Er war mit meiner Mutter als Kunde im Keller. Mein Vater war
auch im Haus. Obwohl er von Anfang an wusste, worauf er sich eingelassen hatte
und finanziell erheblich davon profitierte, kam es an diesem Tag zum Eklat.
Innerlich hatte er wohl ein Arrangement gefunden: Er teilte seine Frau mit
anderen Männern und das ist auch solange in Ordnung, solange sie dafür bezahlt
wird und dies vor einem beruflichen Hintergrund passiert. Im konkreten Fall heißt
das, sie darf es nicht genießen. Bei Pepi Matauschek war aber mehr im Spiel,
nämlich Liebe. Und so kam es, dass ihre sexuelle Erregung nicht zu überhören
war. Als Reaktion darauf leerte er eine Cognac-Flasche und holte eine der
beiden Schusswaffen aus ihrem Versteck. Als Pepi Matauschek gegangen war,
stellte er meine Mutter zur Rede. Provokant antwortete sie: „Na dann schieß
doch, dann ist alles vorbei und überstanden.“ Er wollte nicht feige wirken und
drückte ab. Das Projektil ging an ihr vorbei und blieb in der Wand stecken.
Danach brach er volltrunken bewusstlos zusammen. Meine Mutter rief die Rettung,
die ihn nach Gugging brachte. Der Vorfall wurde auch von der Polizei
protokolliert. Tags darauf besuchte sie ihn. Er war im geschlossenen Bereich
untergebracht und steckte in einer Zwangsjacke. Er flehte darum, wieder nach
Hause zu dürfen. Die Ärzte fragten meine Mutter, welche Angehörigen er sonst
noch hätte, denn für eine Entlassung müsste jemand für ihn bürgen. Zu diesem
Zeitpunkt waren sie noch nicht verheiratet, weshalb sie eigentlich nicht in
Frage kam. Doch seine Mutter war zu alt und ich zu jung und sonst hatte er
niemanden. Dies wäre ein perfekter Zeitpunkt gewesen, sich von ihm zu trennen.
Aber ihr war die Familie, oder vielleicht nur das, was davon als Schein nach
außen tritt, wichtiger. Und so bürgte sie für ihn, nahm ihn mit nach Hause,
holte seine Mutter aus ihrer Wohnung im 10. Bezirk und mich aus dem Internat. Ich
war zu diesem Zeitpunkt noch Volksschüler. Dann verbrachten wir das darauf folgende
Osterwochenende gemeinsam als ob nichts geschehen wäre.
Wie schon erwähnt, machte meine Mutter eine Pause vom
Straßenstrich von meiner Geburt an bis sie ca. 44 Jahre alt war. Dann stellte
sie sich wieder 14 Jahre lang Ecke Hackengasse Felberstraße auf. Ihre zweite
Karriere war nicht mehr so glamourös wie ihre erste. Speziell gegen Ende kamen vorwiegend
Männer mit Migrationshintergrund zu ihr, die knapp bei Kassa waren und beim
Preis feilschten. Damit sie nicht stundenlang stehen musste, ließ sie dann
immer öfter diesbezüglich mit sich reden, speziell im Winter wenn es sehr kalt
war. Ihr Auto, ein weinroter Mercedes 190E, war so umgebaut, dass sie die
Kunden darin abfertigen konnte. Der Vordersitz war ausgebaut und sie mietete
eigens dafür einen Parkplatz im Parkhaus am Westbahnhof, denn die meisten
Kunden konnten sich kein Hotelzimmer leisten. Dieses Auto war auch jenes, mit
dem ich die Praxisstunden außerhalb der Fahrschule machte (das sogenannte L)
und das ich dann die erste Zeit benutzen durfte, bis ich zur Matura dann mein
eigenes Auto bekam. Meine Freunde fragten sich, warum der rechte Vordersitz
fehlte. Ich begründete das mit dem zusätzlichen Platz, den man beim Einkaufen
bräuchte um Kisten zu transportieren und dem dafür zu kleinen Kofferraum.
Meine Mutter hatte nach meinem leiblichen Vater auch noch
eine andere große Liebe. Sein Name war Erich. Sie kannten sich schon sehr
lange, doch gefunkt hatte es erst, als sie um die 50 war. Offiziell war er dann
als zusätzlicher Taxifahrer bei ihr angestellt und natürlich auch Kunde. Doch
in diesem Fall zahlte nicht er jede Samstagnacht, sondern sie sparte das Geld heimlich
weg und legte es dann als Verdienst vor, damit kein Verdacht seitens meines
Vaters aufkam. Er war der einzige Kunde in dieser Nacht und kam zu uns nach
Hause. Ich traf ihn immer wieder nachdem ich vom Ausgehen nach Hause kam. Das
war der einzige Kunde, den ich näher kennen lernte. Er mochte mich und ich ihn.
Weil sich die beiden schon vor meiner Geburt kannten, meinte meine Mutter
öfters im Halbspaß, er hätte auch mein Vater werden können. Ich entgegnete dem
immer, dass ich dann nicht ich wäre. Doch eines ist sicher: Ihn lernte ich
besser als meinen echten Vater kennen. Er war früher ein echter Strizzi und
hatte Kontakt zur Unterwelt, als er Pächter eines Kaffeehauses war, in dessen Hinterzimmer
Stoß gespielt wurde. Das ist ein illegales Kartenspiel um Geld. So gesehen
passten die beiden gut zusammen. Was nur hier zum Tragen kam war wieder ihre Heimlichtuerei,
in die ich auch diesmal verwickelt wurde.
2002 wurde mein Vater 65, hörte mit dem Taxifahren auf und
ging offiziell in Pension. Der Plan war, dass sie gemeinsam mit dem Arbeiten
aufhören. Meine Mutter war sieben Jahre jünger, trotzdem war es höchste Zeit,
denn die Kunden wurden immer schlechter. Mit 58 durfte sie aber von der
Pensionsversicherungsanstalt aus nicht in den Ruhestand. Für eine Frühpension
vor dem 60. Geburtstag fehlten ihr die Versicherungszeiten. Die Zeiten in den
Heimen, in der sie harte Zwangsarbeit verrichtete, schienen nicht auf. Also
wurde sie an das AMS verwiesen. Was hätte sie dort mit 58 Jahren ohne Erfahrung
in einem normalen Job machen sollen? Also waren meine Eltern gezwungen, rund
zwei Jahre lang von seiner kleinen Pension (knapp über 1.000 Euro) und von
Gespartem zu leben.
Es gibt unzählige interessante, spannende und schockierende Geschichten,
die meine Mutter aus ihrer Zeit als Prostituierte erzählen könnte. Aber das ist
ein eigenes Thema, von dem ich in diesem Kontext hier nur fragmentarisch
berichten könnte und schon gar nicht will. Hier geht es mir um mein Erleben mit
dem, was sie mir zugemutet hat und vor welchem Hintergrund das alles geschehen
ist.
Der nächste Eintrag behandelt das Ableben von ihrem
langjährigen Wegbegleiter, jenem Mann, der auch
am ehesten ein Vater für mich war und der Zeit danach. Es folgt quasi
der große Showdown.
Anfang 20, das erste eigene Auto, ein Gogomobil. |
Haus und Garten ganz neu und frisch hergerichtet |
Mitte 20 mit Hexi |
28-jährig: Familienidylle noch ohne mich |
Ende 70er: So habe ich ihn in Erinnerung. Mein "Vater" und sein Taxi. |
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