Dienstag, 22. Oktober 2013

Der letzte Akt, Teil 2

Meine Mutter hatte also ihren zweiten Selbstmordversuch hinter sich gebracht und lag wieder auf der Psychiatrie in Tulln. Beim ersten Besuch war sie immer noch auf der Intensivstation, wo sie bewusstlos zwischen piepsenden Geräten lag und künstlich beatmet wurde. Bei dem Anblick fragte ich mich immer, was ich mir wünschen soll. Einerseits wusste ich, sie würde darunter leiden, dass sie es wieder einmal nicht geschafft hatte und andererseits ist sie meine Mutter. Kein Kind will, dass die Mutter für immer weg ist – egal wie alt es ist.

Auf der psychiatrischen Station war sie dann immer schon ansprechbar. Jedes Mal fürchtete ich, sie würde mich nicht mehr erkennen, wenn sie mich danach das erste Mal wieder zu sehen bekam. Denn mindestens 100 Schlaftabletten einzunehmen hinterlässt Spuren. Während des ersten Aufenthaltes in Tulln war sie sehr besorgt, dass jemand in das unbewohnte Haus einbrechen könnte. Sie hatte Schmuck in einem Tresor im Keller. Diesmal sagte ich ihr, dass ich ihn holen und für sie aufbewahren würde. Ich eröffnete extra dafür ein Schließfach bei einer Bank, holte den Schmuck und gab ihn dort hinein. Das war jener Teil, den sie für jeden Tag im Haus aufbewahrte. Den Großteil hatte sie gemeinsam mit Sparbüchern in einem Schließfach bei ihrer Hausbank. Auf den Sparbüchern lagen in Summe zirka 100.000 Euro und der Schmuck dort war in etwa 30.000 Euro wert. In dem Tresor im Haus fand ich auch noch eine andere Schmuckschatulle, die ich auch an mich nahm. Später erfuhr ich, dass das ein Geschenk von Erich (siehe Eintrag von 8. Oktober) an mich war. Darin war sein Schmuck und jener seiner Frau. Er hatte zwar  eine Tochter, aber mit ihr war er schon lange sehr zerstritten – so sehr, dass sie Jahre vor seinem Tod schon keinen Kontakt mehr hatten. Sein Plan war, dass ich ihn durch den Tod meiner Mutter letztendlich in meinen Besitz wandert. 

Jene Person, zu der meine Mutter am meisten Kontakt nach dem Tod meines Vaters 2009 hatte, war Frau T. Sie ist selber über 80 Jahre alt, aber für ihr Alter noch sehr rüstig. Sie besuchte meine Mutter regelmäßig auf der Psychiatrie. So kam es auch, dass sie meine Mutter einlud, mit ihr in das Haus zu fahren um nach dem rechten zu sehen und um sich noch Kleidung von dort zu holen. Im Zuge dessen sahen sie auch nach dem Schmuck im Tresor. Doch der war nicht da, weil ich ihn ja wie vereinbart aufbewahrte. Leider konnte sich meine Mutter aber nicht mehr daran erinnern, weil sie scheinbar an jenem besagten Tag doch noch nicht so ganz da war. Für Frau T. war das ein gefundenes Fressen. Sie selbst hat nämlich einen Sohn, mit dem sie zwar in einem Haus lebt, sie aber so zerstritten sind, dass sie kein Wort miteinander reden und Frau T. sich sogar einen eigenen Eingang in ihren Bereich hat bauen lassen. Sie verglich mich immer mit ihrem missratenen Sohn und war insgeheim eifersüchtig, dass meine Mutter und ich ein vergleichsweise relativ gutes Verhältnis miteinander hatten. Zurück in der Psychiatrie machte sie einen regelrechten Aufstand und meinte, ich hätte meine Mutter bestohlen. Das warf natürlich kein gutes Licht auf mich. Ich erzähle das deshalb so ausführlich, damit das Folgende besser verständlich wird.

Für die nächste Entlassung gab es eine Auflage. Sie würde nur wieder nach Hause kommen, wenn dort eine 24-Stunden-Betreuung eingerichtet ist. So weit so gut. Nur gab es keine Möglichkeit zu bestimmen, wer diese bereitstellen sollte. Es hieß, ein Pfleger der Einrichtung hätte gute Kontakte zu einer Firma. Mir erschien das sehr dubios, dass man keinen Einfluss darauf hat. Immerhin lebt man dann mit dem Pflegepersonal rund um die Uhr zusammen. Dem entsprechend sollte das eine wohlüberlegte Entscheidung sein, wer mir dieses Personal bereitstellt. In diesem Fall war es aber genau das Gegenteil. Meine Mutter wurde in ihrem geschwächten Zustand dazu gezwungen, öffentlich mit der Stations-Sozialarbeiterin von Tulln nach Maria Gugging zu fahren um den Vertrag für die 24-Stunden-Pflege dort zu unterschreiben. Das war damals eine unglaubliche Strapaze für sie und am Ende dieses Tages hatte sie dann einen Schwächeanfall. Als sie mir das am nächsten Tag erzählte, traute ich meinen Ohren nicht. Doch es kommt noch dreister. Ein paar Tage nach diesem Vorfall rief mich die Sozialarbeiterin an und erklärte mir, dass ich mich nun darum kümmern müsste, dass die beiden slowakischen Pflegerinnen offiziell ihren Dienst antreten können. Dazu sollte ich mit ihnen auf die Bezirkshauptmannschaft gehen und sie dort melden. Eine der beiden hätte aber noch keine Gewerbeberechtigung für Österreich. Darum sollte ich mich auch kümmern. Ich war natürlich sehr aufgebracht. Nicht nur, dass ein Zwangsvertrag mit diesem Verein abgeschlossen wurde (ich vermute Schmiergeldzahlungen dahinter), wurde ich auch noch dazu angehalten, dessen Arbeit zu verrichten. Ich beschwerte mich, wusste aber gleichzeitig, dass auch ich keine Wahl hatte. Und somit sagte ich, dass ich es machen würde, wenn sonst niemand dafür in Frage käme. Einzige Bedingung meinerseits war, dass alles so vorbereitet sein sollte, sodass ich das an einem Tag erledigen kann. Die Sozialarbeiterin erzählte der behandelnden Oberärztin von dem Telefonat, worauf hin sie meine Mutter zu einem Gespräch zitierte, in dem sie ihr die Tatsache unterbreitete, in Zukunft besachwaltet zu werden. Nach dem Gespräch rief mich meine Mutter ganz aufgelöst an. Darauf hin rief ich die Oberärztin an und fragte sie was das soll. Sie meinte, ich wäre nicht zuverlässig und wir könnten nichts mehr dagegen unternehmen. Ich entgegnete ihr, die Sozialarbeiterin würde ihr bestätigen, dass ich mich ja ohnehin bereit erklärt hatte. Diese könnte sich nicht fragen, denn sie wäre zwei Wochen im Urlaub war die niederschmetternde Antwort. 

Weder meine Mutter noch ich waren auf so eine Wendung vorbereitet, denn bis heute ist sie zwar psychisch labil aber geistig ganz klar. Somit war ich auch nicht zeichnungsberechtigt für das Schließfach in der Hausbank, das Haus war nicht auf mich überschreiben und es gab keine Vorsorgevollmacht. Sie war mit sofortiger Wirkung enteignet und ich mit ihr. Ich bin ihr einziger Sohn und noch dazu ausgebildeter Sozialarbeiter. Trotzdem wurde ich bis heute nicht in Betracht gezogen, die Sachwalterschaft für meine Mutter zu übernehmen. Scheinbar steht wegen des oben ausgeführten Vorfalls nichts Gutes im zugehörigen Akt. Die Entscheidung liegt bei Gericht, das die Sachwalterschaft an eine Anwaltskanzlei vergab. Auch ein Rekurs, den ich für meine Mutter schrieb, half nichts. 

Das Gesetzt sieht vor, dass dem Sachwalter fünf bis zehn Prozent der laufenden Einkünfte und jährlich zwei Prozent des Gesamtvermögens zusteht. Darüber hinaus darf er auch Tätigkeiten, die eine juristische Expertise voraussetzen, extra verrechnen. Das macht bei meiner Mutter in etwas 10.000 Euro jährlich aus. Ein gutes Geschäft für einen Anwalt, weswegen es so gesehen in diesem Fall wohl klug war, es nicht dem Sohn zu überlassen. Besonders wenn man in Betracht zieht, wie wenig sich diese zuständigen Personen um meine Mutter kümmern.

Ein Beispiel: Fünf Tage vor zweiten Entlassung wurde die Sachwalterin bei meiner Mutter vorstellig. Im Zuge dessen wurden ihr die Hausschlüssel übergeben. Meine Mutter wies auf die Heizung hin, die für den Winterbetrieb eingeschaltet werden musste, denn mittlerweile war es November und kalt. Fünf Tage sollten reichen, sich darum zu kümmern. Am Tag der Entlassung wurden aber dann ihre schlimmsten Befürchtungen wahr. Sie kam in ein Haus, in dem es sieben Grad hatte und als zuständige Pflegefachkraft hatte sie eine 19jährige Berufsanfängerin zur Seite gestellt bekommen, die kein Wort Deutsch sprach und heillos überfordert war. Null Vorbereitung des Hauses und inkompetentes Personal von einem Verein, mit dem ein Zwangsvertrag eingegangen werden musste. Ich begehrte zwar auf, wurde aber mundtot gemacht. Für eine Person wie meine Mutter, die das eigene Leben ohnehin schon als hoffnungslos empfand, war das keine besonders heilsame Situation, ganz im Gegenteil. 

Ich kann jetzt schon verraten, dass es auch im nächsten Eintrag keine Aussicht auf Besserung gibt, sondern der Horror seinen Lauf nimmt. 

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