In der Früh wurde man vom Präfekt mit einem lauten, ins
Zimmer hineingeworfenen „Guten Morgen“ geweckt. Dann schnelle Morgenroutine und
Bett machen. Anschließend in Zweierreihe zum Frühstück und dann wieder in
Zweierreihe den langen Weg in das Schulgebäude in die Klasse. Begegnete einem dabei ein Schulbruder, musste
einer der ersten beiden „Wir grüßen“ sagen und dann beide gemeinsam „Grüß Gott“.
Bei diesen Ortswechseln innerhalb des Gebäudekomplexes durfte sonst nicht
gesprochen werden. Es gab einen Präfekten, der die ganze Gruppe bestrafte sobald er einen Mucks hörte, indem alle wieder zum Ausgangspunkt zurück gehen mussten. Somit konnten wir viel Zeit mit Hin- und Hergehen verbringen, die uns dann von der Zeit für Freizeitaktivitäten abgezogen wurde.
Die Zeit am Vormittag in der Klasse war nicht viel anders
als in anderen Schulen. Weltliche Lehrer und ganz normaler Unterricht. Zu
Unterrichtsende wurde man als Klasse wieder vom Präfekt abgeholt und war in
dessen „Obhut“ bis zum nächsten Unterrichtsbeginn. In dieser Zeit war man dem
ganzen Gruppendruck und den Launen des Präfekten ausgeliefert. Manche traf es
mehr und andere weniger. Die straffen, strengen Regeln und der Leistungsdruck wirkten
sich gruppendynamisch auf die Schwächsten am ungünstigsten aus. Sie wurden
permanent gehänselt und erniedrigt. Je nach Präfekt schützte er sie oder machte
auch auf deren Kosten verletzende Bemerkungen.
Die schönste Beschäftigung sich vom öden Schulalltag
abzulenken war sportliche Aktivität. Mit der Klasse ging man nach dem
Mittagessen raus auf die Fußballplätze. An einem Tag der Woche war stattdessen
Schwimmhalle angesagt. Am Abend nach dem Abendessen stand ein Mal in der Woche
Fußball spielen in einer Sporthalle am Programm. Neben diesen fixen Einheiten
mit der Klasse konnte man individuell auch Neigungsgruppen belegen, die in der
Zeit nach dem Mittagessen stattfanden. Zu diesen ging man selbständig. Umso
besser die Schulnoten, desto mehr konnte man davon belegen. In den drei Jahren
in Strebersdorf belegte ich als guter Schüler eine Vielzahl dieser Sportkurse:
Fußball, Leichtathletik, Tischtennis und Leistungsschwimmen. Außerdem nahm ich
auch noch an der Neigungsgruppe Bühnenspiel teil. Ich genoss die Zeit außerhalb
der vorgegebenen Strukturen und lebte somit ein wenig „Individualität“, von der
es eigentlich keine geben durfte.
Wer durch auffälliges oder aufmüpfiges Verhalten aus der
Reihe tanzte wurde sofort bestraft. Zuallererst wurden die oben angesprochenen
gemeinsamen Sportaktivitäten gestrichen. Während sich die Klassenkollegen vergnügten
musste man als Bestrafter entweder um den Fußballplatz spazieren oder in der
Schwimmhallte von der Tribüne aus zusehen. Ziel war es, somit eine Einsicht zu
erzwingen, indem man auf das blicken musste, was man sich mit dem eigenen
Verhalten verhindert hatte.
Es gab Lobe und Tadel in das bereits im Eintrag vom 25.
August angesprochene Wochenheft. War das Resümee am Ende der Woche zu schlecht,
gab es die Strafe am Samstag bis 15 oder 18 Uhr da bleiben zu müssen, obwohl
die reguläre Abholzeit 12 Uhr war. Das Wochenende zu Hause war ohnehin schon
mit eineinhalb Tagen sehr kurz. Dazu bekam man auch noch Strafhausübung auf,
die in der Zeit bis 15 oder 18 Uhr kaum zu schaffen war. Somit musste man sie
am freien Wochenende fertig stellen, weil am Montag diese abzugeben war.
Zwischendurch konnte der Präfekt auch während der Woche Strafaufgabe vergeben.
Wer in der vorgegebenen Zeit am Nachmittag und Abend mit der Hausübung fertig
war, durfte in den neben der Klasse gelegenen Pausenraum Tischtennis spielen
gehen. Es war ein Ansporn schnell fertig zu werden, denn den Spaß im Pausenraum
bekam man nebenan mit. Mit zu erledigender Strafhausübung konnte man sich das
natürlich abschminken. Es gab somit genug Mittel und Wege, den Kindern jegliche
Individualität und den eigenen Willen auszutreiben und sie zu einem
funktionierenden Teil des Ganzen zu machen.
Rückblickend gesehen war das einzig Positive, dass meine Zeugnisse
sehr gut ausfielen und ich sportlich topfit war. Speziell das Leistungsschwimmen,
das zwei Mal wöchentlich in der Früh vor dem Unterricht stattfand verlangte
meinem Körper einiges ab – bis zur totalen Erschöpfung inklusive Zusammenbruch aufgrund der hohen Anstrengung ohne Essen im Bauch. Der Tagesablauf sah so früh kein Frühstück vor und auf
individuelle Fälle konnte keine Rücksicht genommen werden.
Gegen Ende der zweiten Klasse befand ich mich im Visier der
destruktiven Gruppendynamik und wurde
gemobbt. Ein Mal wurde ich nach dem Mittagessen beim Umziehen zum
Fußballspielen in meinen Kleiderkasten gesperrt. Ich wehrte mich nicht und
machte „den Spaß“ mit. Nur dann wurde es leise und es erschien mir, als wären
alle schon draußen am Weg zum Fußballplatz. Ich brach die Kastentür von innen
auf. In selben Moment sperrte der Präfekt die Zimmertüre doch wieder auf.
Natürlich bekam ich den Anschiss wegen der Beschädigung des Kastens und nicht
jene, die mich da hinein gesperrt hatten.
In der dritten Klasse kamen dann viele neue Leute hinzu und
die Dynamik wurde eine andere. Auch ich veränderte mich mit beginnender
Pubertät. War ich in den ersten beiden Jahren sehr angepasst und somit ein
rundherum braver und leistungswilliger Internatsschüler, wurde ich dann doch
aufmüpfig. Ein neuer Klassenkollege war ein ganz wilder Hund und am Wochenende
angeblich mit einer Motorradgang unterwegs. Gemäß eigenen Angaben hatte er
sogar schon Sex. Ich war von ihm fasziniert. Er verleitet mich auch zum
Rauchen. Ein Mal wurden wir am Schulgelände hinter einem Busch erwischt. Er war
unbeugsam und flog noch vor Ablauf des Schuljahres von der Schule. Im Zuge
dessen sagte man mir ich wäre der nächste Kandidat, sollte sich mein Verhalten
nicht ändern. Ohne seinen Einfluss konnte ich mich noch einmal zusammen reißen,
doch ich wusste, dass ich es dort nicht mehr aushalten würde und suchte das
erste Mal in meinem jungen Leben ein Ausstiegsszenario aus meiner trostlosen
Situation.
Im Rahmen der Neigungsgruppe Bühnenspiel gab es eine
Exkursion in eine Schule, die bekannt für ihr gutes Schülertheater war um ein
Stück anzusehen, das auch wir als nächstes auf dem Spielplan hatten: Der Bauer
als Millionär. Im Zuge dessen lernte ich die Schule kennen, die auch ein
angeschlossenes Internat zu bieten hatte: Das Sacre Ceour Pressbaum, ganz in
der Nähe von Purkersdorf. Ich konfrontierte meine Eltern mit meinem Leid bei
den Schulbrüdern und präsentierte ihnen auch gleich die Lösung. Sie meinten,
sie hätten die Schule schon gekannt, aber die Schwester Oberin aus der
Volksschule hätte ihnen damals davon abgeraten, weil es angeblich dort einmal irgendwas mit Drogen gab. Sicher ein Vorfall, den die Medien
aufgebauscht hatten und der von der lebensfremden Nonne nicht realistisch
eingeschätzt wurde. Das war also der Grund, warum ich drei Jahre meines jungen
Lebens in Strebersdorf vergeuden musste, während die Lösung für die Misere die
ganze Zeit vor der Nase war.
Ich lernte damals, dass ich Einfluss auf meine Schicksal
nehmen konnte, denn ich setzte mich beim Schulwechsel durch. Doch es sollte
sich bald herausstellen, dass der Preis, den ich dafür bezahlen sollte, ein
sehr hoher war. Aber dazu mehr im nächste Blog-Eintrag.
13-jährig im Elternhaus anlässlich ihrer Hochzeit |