Freitag, 30. August 2013

Gezüchtigt durch die Schulbrüder in Strebersdorf

Mit September 1985 begann meine Zeit im Gymnasium bei den Schulbrüdern Strebersdorf, wieder eine katholische Privatschule mit Vollinternat. Diesmal war der Eintritt in diese Institution nicht so traumatisch, denn ich war schon daran gewohnt, montags deportiert zu werden und nur das Wochenende in Purkersdrof bei meinen Eltern zu verbringen. Die Schule war streng geführt und der Tag vom Aufstehen bis zum Schlafengehen durchgeplant wie im Gefängnis. Der bescheidene private Raum bestand aus einem Bett und einem Kasten in einem Vier- oder Fünfbettzimmer.

In der Früh wurde man vom Präfekt mit einem lauten, ins Zimmer hineingeworfenen „Guten Morgen“ geweckt. Dann schnelle Morgenroutine und Bett machen. Anschließend in Zweierreihe zum Frühstück und dann wieder in Zweierreihe den langen Weg in das Schulgebäude in die Klasse. Begegnete einem dabei ein Schulbruder, musste einer der ersten beiden „Wir grüßen“ sagen und dann beide gemeinsam „Grüß Gott“. Bei diesen Ortswechseln innerhalb des Gebäudekomplexes durfte sonst nicht gesprochen werden. Es gab einen Präfekten, der die ganze Gruppe bestrafte sobald er einen Mucks hörte, indem alle wieder zum Ausgangspunkt zurück gehen mussten. Somit konnten wir viel Zeit mit Hin- und Hergehen verbringen, die uns dann von der Zeit für Freizeitaktivitäten abgezogen wurde.

Die Zeit am Vormittag in der Klasse war nicht viel anders als in anderen Schulen. Weltliche Lehrer und ganz normaler Unterricht. Zu Unterrichtsende wurde man als Klasse wieder vom Präfekt abgeholt und war in dessen „Obhut“ bis zum nächsten Unterrichtsbeginn. In dieser Zeit war man dem ganzen Gruppendruck und den Launen des Präfekten ausgeliefert. Manche traf es mehr und andere weniger. Die straffen, strengen Regeln und der Leistungsdruck wirkten sich gruppendynamisch auf die Schwächsten am ungünstigsten aus. Sie wurden permanent gehänselt und erniedrigt. Je nach Präfekt schützte er sie oder machte auch auf deren Kosten verletzende Bemerkungen.

Die schönste Beschäftigung sich vom öden Schulalltag abzulenken war sportliche Aktivität. Mit der Klasse ging man nach dem Mittagessen raus auf die Fußballplätze. An einem Tag der Woche war stattdessen Schwimmhalle angesagt. Am Abend nach dem Abendessen stand ein Mal in der Woche Fußball spielen in einer Sporthalle am Programm. Neben diesen fixen Einheiten mit der Klasse konnte man individuell auch Neigungsgruppen belegen, die in der Zeit nach dem Mittagessen stattfanden. Zu diesen ging man selbständig. Umso besser die Schulnoten, desto mehr konnte man davon belegen. In den drei Jahren in Strebersdorf belegte ich als guter Schüler eine Vielzahl dieser Sportkurse: Fußball, Leichtathletik, Tischtennis und Leistungsschwimmen. Außerdem nahm ich auch noch an der Neigungsgruppe Bühnenspiel teil. Ich genoss die Zeit außerhalb der vorgegebenen Strukturen und lebte somit ein wenig „Individualität“, von der es eigentlich keine geben durfte.

Wer durch auffälliges oder aufmüpfiges Verhalten aus der Reihe tanzte wurde sofort bestraft. Zuallererst wurden die oben angesprochenen gemeinsamen Sportaktivitäten gestrichen. Während sich die Klassenkollegen vergnügten musste man als Bestrafter entweder um den Fußballplatz spazieren oder in der Schwimmhallte von der Tribüne aus zusehen. Ziel war es, somit eine Einsicht zu erzwingen, indem man auf das blicken musste, was man sich mit dem eigenen Verhalten verhindert hatte.

Es gab Lobe und Tadel in das bereits im Eintrag vom 25. August angesprochene Wochenheft. War das Resümee am Ende der Woche zu schlecht, gab es die Strafe am Samstag bis 15 oder 18 Uhr da bleiben zu müssen, obwohl die reguläre Abholzeit 12 Uhr war. Das Wochenende zu Hause war ohnehin schon mit eineinhalb Tagen sehr kurz. Dazu bekam man auch noch Strafhausübung auf, die in der Zeit bis 15 oder 18 Uhr kaum zu schaffen war. Somit musste man sie am freien Wochenende fertig stellen, weil am Montag diese abzugeben war. Zwischendurch konnte der Präfekt auch während der Woche Strafaufgabe vergeben. Wer in der vorgegebenen Zeit am Nachmittag und Abend mit der Hausübung fertig war, durfte in den neben der Klasse gelegenen Pausenraum Tischtennis spielen gehen. Es war ein Ansporn schnell fertig zu werden, denn den Spaß im Pausenraum bekam man nebenan mit. Mit zu erledigender Strafhausübung konnte man sich das natürlich abschminken. Es gab somit genug Mittel und Wege, den Kindern jegliche Individualität und den eigenen Willen auszutreiben und sie zu einem funktionierenden Teil des Ganzen zu machen.

Rückblickend gesehen war das einzig Positive, dass meine Zeugnisse sehr gut ausfielen und ich sportlich topfit war. Speziell das Leistungsschwimmen, das zwei Mal wöchentlich in der Früh vor dem Unterricht stattfand verlangte meinem Körper einiges ab – bis zur totalen Erschöpfung inklusive Zusammenbruch aufgrund der hohen Anstrengung ohne Essen im Bauch. Der Tagesablauf sah so früh kein Frühstück vor und auf individuelle Fälle konnte keine Rücksicht genommen werden.

Gegen Ende der zweiten Klasse befand ich mich im Visier der destruktiven Gruppendynamik und wurde gemobbt. Ein Mal wurde ich nach dem Mittagessen beim Umziehen zum Fußballspielen in meinen Kleiderkasten gesperrt. Ich wehrte mich nicht und machte „den Spaß“ mit. Nur dann wurde es leise und es erschien mir, als wären alle schon draußen am Weg zum Fußballplatz. Ich brach die Kastentür von innen auf. In selben Moment sperrte der Präfekt die Zimmertüre doch wieder auf. Natürlich bekam ich den Anschiss wegen der Beschädigung des Kastens und nicht jene, die mich da hinein gesperrt hatten.

In der dritten Klasse kamen dann viele neue Leute hinzu und die Dynamik wurde eine andere. Auch ich veränderte mich mit beginnender Pubertät. War ich in den ersten beiden Jahren sehr angepasst und somit ein rundherum braver und leistungswilliger Internatsschüler, wurde ich dann doch aufmüpfig. Ein neuer Klassenkollege war ein ganz wilder Hund und am Wochenende angeblich mit einer Motorradgang unterwegs. Gemäß eigenen Angaben hatte er sogar schon Sex. Ich war von ihm fasziniert. Er verleitet mich auch zum Rauchen. Ein Mal wurden wir am Schulgelände hinter einem Busch erwischt. Er war unbeugsam und flog noch vor Ablauf des Schuljahres von der Schule. Im Zuge dessen sagte man mir ich wäre der nächste Kandidat, sollte sich mein Verhalten nicht ändern. Ohne seinen Einfluss konnte ich mich noch einmal zusammen reißen, doch ich wusste, dass ich es dort nicht mehr aushalten würde und suchte das erste Mal in meinem jungen Leben ein Ausstiegsszenario aus meiner trostlosen Situation.

Im Rahmen der Neigungsgruppe Bühnenspiel gab es eine Exkursion in eine Schule, die bekannt für ihr gutes Schülertheater war um ein Stück anzusehen, das auch wir als nächstes auf dem Spielplan hatten: Der Bauer als Millionär. Im Zuge dessen lernte ich die Schule kennen, die auch ein angeschlossenes Internat zu bieten hatte: Das Sacre Ceour Pressbaum, ganz in der Nähe von Purkersdorf. Ich konfrontierte meine Eltern mit meinem Leid bei den Schulbrüdern und präsentierte ihnen auch gleich die Lösung. Sie meinten, sie hätten die Schule schon gekannt, aber die Schwester Oberin aus der Volksschule hätte ihnen damals davon abgeraten, weil es angeblich dort einmal irgendwas mit Drogen gab. Sicher ein Vorfall, den die Medien aufgebauscht hatten und der von der lebensfremden Nonne nicht realistisch eingeschätzt wurde. Das war also der Grund, warum ich drei Jahre meines jungen Lebens in Strebersdorf vergeuden musste, während die Lösung für die Misere die ganze Zeit vor der Nase war.

Ich lernte damals, dass ich Einfluss auf meine Schicksal nehmen konnte, denn ich setzte mich beim Schulwechsel durch. Doch es sollte sich bald herausstellen, dass der Preis, den ich dafür bezahlen sollte, ein sehr hoher war. Aber dazu mehr im nächste Blog-Eintrag.

13-jährig im Elternhaus anlässlich ihrer Hochzeit

Montag, 26. August 2013

Hier ein paar Zeilen, die mich darin bestärken den Blog weiter zu schreiben.
Quelle: http://mymonk.de/5-dinge-fuer-die-ich-mich-schaeme

"Da man uns verletzt hat, errichten wir eine Mauer um uns herum, damit man uns nie wieder verletzt; und wenn man eine Mauer um sich herum errichtet, wird man nur noch mehr verletzt."
Jiddu Krishnamurti

Mit jeder Scham, vor allem mit jeder versteckten Scham, verhindern wir die Verbundenheit und Liebe. Wir sagen uns: „Ich bin nicht so, wie ich sein sollte.“

Wenn wir eine tiefe Beziehung zu anderen Menschen haben wollen, müssen wir uns öffnen, uns so zeigen, wie wir sind – mit allen guten und (vermeintlich) schlechten Eigenschaften. Das macht uns verletzbar, ist aber die einzige Chance, uns wirklich zugehörig, verbunden und geliebt zu fühlen.

Uns angreifbar machen – und uns dabei selbst beweisen:
„Ich bin gut genug. Ich bin es wert, geliebt zu werden.“

Nachtrag:
"Derjenige, der mit Tinte schreibt, 
ist nicht zu vergleichen mit demjenigen, 
der mit seinem Herzblut schreibt."
Khalil Gibran

Der ganz normale Wahnsinn

Damit man meine Kindheit noch besser verstehen kann, muss man die ganze Situation beleuchten, in der ich damals gelebt habe.

Meine Mutter lebte nach außen hin das Leben einer Hausfrau in einem Haus mit Garten am Stadtrand von Wien. Tatsächlich empfing sie Kunden aus jener Zeit vor meiner Geburt auf dem Straßenstrich. Es waren auch Männer dabei, denen sie einen Hausbesuch abstattete. Mein Vater fuhr jede Nacht Taxi, außer von Sonntag auf Montag und von Montag auf Dienstag. Von ca. acht bis 16 Uhr schlief er. Seine Mutter, meine kleine Oma, war schon 69 Jahre alt, als ich zur Welt kam. Sie hatte noch eine Wohnung im 10. Bezirk, die sie aber im Laufe der Zeit immer weniger bewohnte. Sie wurde älter und gebrechlicher, weshalb sie schleichend ins Elternhaus übersiedelte. Es gab in diesem Haus ein Wohnzimmer und zwei Schlafzimmer. Ursprünglich waren es zwei Zimmer mehr. Aber meine Eltern rissen zwei Mauern ab, wodurch je ein großes Wohn- und Elternschlafzimmer entstand. Im Kinderzimmer wohnte meine Oma, die immer gegen die Verbindung ihres Sohnes mit meiner Mutter war und wenn es heiß her ging sie als Hure beschimpfte. Trotzdem nahm meine Mutter sie in ihrem Haus auf, weshalb ich bis ins Alter von 13 Jahren kein eigenes Bett in diesem Haus hatte. Ich schlief immer im Ehebett, entweder auf der Seite meiner Mutter oder meines Vaters in deren Bettzeug. Sie weichte dafür in den Keller aus, wo es ein Bett neben der Sauna gab, in dem sie auch ihre sexuellen Dienstleistungen an den Mann brachte. Er hatte als Ausweichmöglichkeit das Sofa im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Meine Spielsachen waren in einer Lade im Wohnzimmer und in einer Schachtel in der Küche verstaut. Meine Kleidung in einem Wohnzimmerkästchen, das kleiner war als die Sockenlade meines Vaters. Meine Eltern hatten keinen Raum in ihrem Leben für mich geschaffen und das spiegelte sich auch in ihrem Haus wieder. Die Einrichtung war nur vom Feinsten, beispielsweise das Wohnzimmer nach Maß aus Palisanderholz, der Garten von Gärtnern geplant und gestaltet, in den Kästen Maßanzüge und Pelze, Gold und Edelsteine am Körper und in der Garage neben dem Taxi noch ein zweiter Mercedes für private Zwecke. Nur für mich war kein Platz. Alles diente der Wahrung des Scheins. Meine Eltern lebten für ein Bild, von dem sie meinten, es entstünde in den Köpfen der Menschen, wenn diese all den materiellen Wohlstand neiderfüllt sahen. Über mögliches Unbehagen hinsichtlich der Geldquelle wurde hinweg geprotzt. Den Großteil des Luxuslebens finanzierte nämlich meine Mutter unter Einsatz ihres nackten Körpers.

Daneben unternahm sie an den Wochenenden schon immer wieder etwas mit mir. Wir waren im Sommer oft gemeinsam im Bad oder gingen Radfahren. Im Winter waren wir Rodeln. Bei Ausflügen mit dem Auto waren wir auch schon mal zu viert unterwegs, etwa in die Wachau. Mein Vater beschäftigte sich wenig mit mir. Sein Hobby war das Fernsehen, mit dem er die meiste Zeit beschäftigt war. Manchmal kamen aber auch Kunden in der Zeit, als ich zu Hause war, beispielsweise an langen Wochenenden mit schulfreiem Fenstertag. Da setzte er mich ins Auto und fuhr mit mir durch die Gegend. Er nannte es Häuser schauen fahren. Manchmal ging er auch mit mir hinter das Haus, einer von uns ging rauf auf die höher gelegene Terrasse und wir warfen mit der Hand den Ball rauf und runter. Für Fußball war der Grund dort zu verbaut und uneben. Vor dem Haus war es ein angelegter Schau-Garten, nicht zum Spielen geeignet. Die Highlights mit ihm waren Kleidungshoppen und ein Mal im Jahr in den Prater gehen um 1.000 Schilling zu verblasen. Dafür sah er sich zuständig. Mit der Zeit lernte ich Schifahren und später im Gymnasium entwickelte ich mich zu einem guten Schwimmer. Mein Vater hat mich nie Schifahren oder Schwimmen gesehen, weil er beides nicht konnte. Somit war er nie in einem Schwimmbad oder auf einer Schipiste.

Meine Eltern machten ihren letzten Urlaub im klassischen Sinn 1970 in Kroatien. Wenn sie sich in den folgenden Jahren Urlaub nahmen, dann um am Haus oder im Garten zu arbeiten. Obwohl sie viel Geld hatten, konnten sie sich kein lustvolles Leben damit ermöglichen. Sie hatten kein Bild davon, wie das aussehen sollte. Das Geldverdienen hatte oberste Priorität und nicht das Wohlbefinden des Einzelnen. Am ehesten konnte mein Vater sein Leben genießen, weil er keine hohen (bzw. nur materielle) Ansprüche hatte und diese waren zur Gänze erfüllt. Meine Mutter machte sich diesbezüglich überhaupt keine Gedanken. Sie war froh, wenn sie ihre kleinen Freiheiten im Alltag hatte. Inseln, die sie sich durch geschickte Lügen schaffte. Aber dazu später.

Mein einziger Urlaub mit meinen Eltern war 13- oder 14-jährig mit meinem Vater eine Woche am Wörthersee. Meine Sommerferien während der Volksschulzeit verbrachte ich in einem von der Volksschule aus organisiertem Ferienlager in Neulengbach, Niederösterreich. Ich war durch all die Jahre hindurch das einzige Kind, das alle neuen Ferienwochen von Montag bis Freitag dort war. Schifahren lernte ich als ich achtjährig anlässlich der Semesterferien 1983 in einen Bus gesteckt wurde, der mich wieder mit unbekannten Menschen an einen unbekannten Ort (Mondsee) brachte, wo ich auf Schier gestellt wurde. Ich fand es zum Kotzen, aber mich hatte niemand gefragt, ob ich das will und meine Eltern waren froh, dass ich untergebracht war. Ab dann verbrachte ich Schulferien im Winter immer auf Schikursen. Erst im Gymnasium fing es an mir auch Spaß zu bereiten.

In der Ferien-Not wurde ich auch ein Mal als Volksschüler in der Familie eines Freiers beherbergt. Dort wurde ich von dem damals 14-jährigen Sohn sexuell belästigt. Ich verstand den Sinn dessen damals noch nicht und weigerte mich, ihn oral zu befriedigen, nachdem er es bei mir ansatzweise versucht hatte um mir zu zeigen, was er meinte. Zum Glück akzeptierte er meine Verweigerung. Weil meine Eltern jeglichen Kontakt zu ihrer Herkunftsfamilie abgebrochen hatten, gab es nur sie, meine mit mir überforderte Oma und mich. Deshalb mussten sie mich oft bei mir fremden Personen unterbringen.

Ich war mittlerweile sehr genügsam, gefügig, und anpassungsfähig. Mir kam das zwar alles auch irgendwie komisch vor, aber in meiner kindlichen Solidarität und Abhängigkeit spielte ich sogar perfekt mit und hielt den Schein aufrecht ein wohlerzogener, intelligenter Bub zu sein, dem an nichts fehlte. Wo ich auch gerade war, jeder glaubte, dass ich dort wo ich sonst bin sicher gut untergebracht wäre. Dass es sicher wo jemanden gäbe, der sich wirklich meiner annimmt. Naturgemäß geht die Schule bzw. das Internat davon aus, dass die Eltern diese Funktion übernehmen. Meine Eltern machten sich aber keine Gedanken um meine psychische Entwicklung und mein ganzheitliches Wohlergehen. Das passte ihnen nicht ins Konzept und selbst waren sie zu einfach gestrickt um irgendwas zu reflektieren. Sie waren sicher, dass es mir immer gut ging, wo ich war, denn sie zahlten ja viel Geld dorthin – für Beaufsichtigung, ein Bett, eine Waschmöglichkeit, ein Dach über dem Kopf, Essen, Raumwärme und saubere Kleidung. Das musste reichen. Ich selbst war zu jung und konnte das alles noch nicht hinterfragen. Meine Eltern bestimmten meine Realität und ich passte mich perfekt an diese Abnormität an, die zu meiner absurden Realität geworden war.

Eines der wenigen Fotos von uns zu dritt in einer Alltagssituation auf einer Hochzeit
Ausflug mit einer fremden Familie aus dem Umfeld von Frau Hartl (Bub ganz rechts)
Kleine Oma in der Küche. Dahinter die Spielzeugschachtel
Vor dem Haus im Garten. Kein Ort zum Spielen, nur zum Anschauen

Sonntag, 25. August 2013

Du musst an einen Gott glauben

In der ersten Klasse Volksschule, also im zweiten Internatsjahr, kam ich in eine Klasse mit insgesamt fünf Internatsbuben. Wir waren vor-, wie nachmittags unzertrennlich. Das hat mir sehr dabei geholfen, die restlichen vier Jahre meiner Zeit in diesem Internat zu überstehen. Aber ein Aspekt in diesem Zusammenhang ist es wert, einen eigenen Blog-Eintrag darüber zu schreiben.

Wie schon erwähnt, war ich fünf Jahre und zehn Monate alt, als ich zum ersten Mal mit Erziehungseinrichtungen der katholischen Kirche in Kontakt kam. Davor wusste ich nicht einmal, dass es so etwas wie Religion gibt und Menschen an einen Gott glauben. Das war mir unbekannt, weil es bis dato keine Rolle in meinem davon unbehelligtem Leben gespielt hatte.

Am Vormittag im Klassenverband gab es in der Vorschule keinen Religionsunterricht. Niemand erklärte mir, warum ich beten und immer wieder in die Kirche gehen sollte. Ich kannte die Gebete auch nicht. Wir beteten vor dem Essen und dem Schlafengehen, gingen regelmäßig zum Gottesdienst und pflegten sonstige dem Kirchenkalender entsprechende Rituale. Beim Zubettgehen musste wir gemeinsam im Schlafsaal mit dem Gesicht zum Kreuz das Vaterunser und das Gegrüßetseistdumaria beten. Von Abend zu Abend konnte ich mir immer mehr davon merken. Letztendlich konnte ich mitbeten, aber verstehen konnte ich es nicht. Besonders schlimm war der allfreitägliche Kreuzgang in der Fastenzeit, als ich das gesamte Leid Christi vor seinem Tod mit durchleben musste, ich aber nicht verstand, was das mit mir zu tun hatte. Bei meiner ersten Beichte in der zweiten Volksschule hatte ich wahnsinnig große Angst, nicht den richtigen Text an der richtigen Stelle zu sagen. Diese Beichte fand im letzten Stock des Hauses in einer Kapelle statt, an einem Ort, zu dem wir sonst keinen Zutritt hatten. Der Pfarrer in seinem Gewand und mit seiner Größe gab mir das Gefühl, als würde Gott persönlich vor mir stehen. Ich fühlte mich klein und nichtig, voller Angst das Falsche zu machen und sogleich für immer in die Hölle zu kommen. Der Glaube wurde mir aufgezwungen indem sie ihn mir in den Alltag integrierten. Ich konnte mindestens ein Jahr nicht zwischen dem realen Leben und den darin gelebten religiösen Ritualen unterscheiden. Ein Leben wie auf einem religiösen LSD-Horrortrip.

Ins erste Gymnasium kam ich nach Strebersdorf zu den Schulbrüdern, auch wieder ins Internat. Dort herrschte ein Klima der strukturellen Gewalt. Die Erwachsenen hatten die absolute Gewalt über die SchülerInnen und gaben dir das Gefühl, dass du ein Nichts bist, das sich fügen muss. Jegliche Individualität wurde einem ausgetrieben, der eigenen Wille gebrochen. Die "Pädagogen" konnte einem das Leben zur Hölle machen, indem sie einem alle damals interessanten Tagespunkte strichen. Nicht nur das, man musste den anderen dann beim Spaßhaben zusehen. Zusätzlich zu den Hausübungen bekam man Strafstudium. Das Verhalten der ganzen Woche wurde im sogenannten Wochenbericht dokumentiert. Am Ende der Woche kamen der Direktor oder der Heimleiter in die Klasse. Jeder wurde mit Namen aufgerufen. Man musste aufstehen, der Präfekt las die Lobe und Tadel getrennt nach Betragen und Fleiß im Wochenheft vor. War man schlimm gewesen, musste man sich dann vor allen zur Sau machen lassen, bis man sich wieder setzten durfte. Ich hatte damals schon das Gefühl, dass das alles nicht in Ordnung war. Aber wenn das in einem geschlossenen System, in dem du auch noch eingesperrt bist als Normalität gelebt wird, ist man dem hilflos ausgeliefert und muss sich fügen. Ich habe dadurch gelernt zu kuschen und vor allem bestens zu funktionieren. Ich habe eine Hochschulausbildung, aber ich kämpfe noch immer darum, meinen Platz in der Welt zu finden, weil der Draht zu meinen Gefühlen und in weiterer Folge auch die Schnittstelle zur Außenwelt gestört ist. Ich komme immer wieder im Berufsleben zu dem Punkt, an dem ich nur noch funktioniere und alles ausnahmslos als enormen Zwang erlebe. So wie ich mich im Internat gefühlt habe. Dann muss ich ausbrechen indem ich Job wechsle. Glücklicherweise kann ich dann immer aus der Situation raus, was mir als Kind aber nicht möglich war. Für mich gab es aus damaliger Sicht kein Entkommen und keine Alternative.

Ich wurde in den katholischen Erziehungeinrichtungen nicht sexuell misshandelt, aber seelisch - und bis heute habe ich damit zu kämpfen. In einem System, in dem die strukturelle Macht allgegenwärtig ist und damit ein Klima erzeugt, wie ich es in Strebersdorf vorgefunden habe kann ich mir gut vorstellen, dass die Allmacht über die Kinder den Erziehern das Gefühl gab, sie dürften über die Kinder verfügen wie sie es wollten. Die Augelieferten zugänglich für mögliche Übergriffe zu machen ist dann auch nicht schwer, weil sie in diesem Klima der Kälte und Strenge jegliche außergewöhnliche "Zuwendung" und jedes vermeintliche "Goodie" dankbar annehmen.

Beim Fotografen nach der Erstkommunion: künstliches Lächeln

Donnerstag, 22. August 2013

Trauma Schuleintritt

Ich war fünf Jahre und zehn Monate alt. Es war September 1980. Ich kam ins Internat der katholische Privatschule Josephinum Breitensee, wo ich die nächsten fünf Jahre meines Lebens verbringen sollte.

Meine Mutter brachte mich am Montagmorgen in eine mir komplett fremde Welt mit ihren eigenen Regeln und mir unbekannten Menschen. Schlafen im Schlafsaal mit rund 20 anderen "Leidgenossen" von 19 Uhr bis 7 Uhr Früh - egal ob fünf oder zehn Jahre alt. In jedem Jahrgang gab es eine Klasse mit einigen Internatsbuben. Sie alle verbrachten den Nachmittag, Abend und die Nacht gemeinsam im letzten Stock des Hauses. Dabei blieben sie klassenweise als Gruppe beieinander. Mein Problem war, dass niemand so grausam zum eigenen Kind war und es schon in der Vorschule ins Internat gab. Somit war ich der Einzige in meiner Klasse.

Am Vormittag war es noch ganz in Ordnung. Da fühlte ich mich im Klassenverband nicht so alleine. Aber das Hinaufgehen in den letzten Stock war für mich blanker Horror. Dort war ich einsam und verlassen. Während alle anderen Teil einer Gruppe waren, fühlte ich mich alleine in einer fremden, kühlen Welt voller Regeln und Gebeten. Ich war dort lediglich untergebracht aber nicht beheimatet. Einer von vielen und im Prinzip allen egal.

Ich entwickelte in dieser trostlosen Situation eine Essstörung. Unabhängig davon, dass das Essen nicht besonders gut war und ich kein Mitbestimmungsrecht hatte, wurde mir beim Gedanken daran sofort schlecht. Das auf mich unmenschlich wirkende Klima im Internat setzte sich in mir fest und nahm mir die Lebenslust. Nach jeder Essensausgabe fand ich mich im Speisesaal, für mich ein Ort des Grau(s)ens, vor eine mir unlösbaren Aufgabe gestellt: Wie soll ich nur diesen Teller voll mit Essen weg bekommen? Mir war einfacher nur dauerschlecht. Jedes Bissen kaute ich ewig, bevor ich ihn hinunter würgte. Natürlich war ich immer der Letzte im Speisesaal. Das Personal wollte diesen dann aber immer schon fertig machen und zusperren. Wohin mit mir? Die Lösung war, mich mitsamt des Tellers zur Schwester Oberin in ihr Büro zu versetzen. Vor ihr hatte ich größte Ehrfurcht. Sie brauchte gar nichts zu sagen. Allein ihre Anwesenheit versetzte mich unter höllischen Druck, der mir dabei half, mich selbst zu korrumpieren. Ich stellte mir vor, ich selbst wäre nicht da, nur mein Körper. Somit konnte ich ihn Dinge machen lassen, ohne dass ich darunter leiden musste. Eine psychische Meisterleistung eines Sechsjährigen. Heute würde man Abspaltung dazu sagen. Ich schmeckte und spürte nichts. Mein Körper war wie mechanisch. Diesen Trick hatte ich dann ganz gut raus, als ich mehrere Male bei ihr zu Ende essen musste. Obwohl es in den 1980er Jahren schon solche Begriffe wie Psyche, Psychosomatik und Pädagogik gab, nahm niemand davon Kenntnis. Ein Mal war aus irgendeinem Anlass meine Mutter zufällig zur Zeit des Mittagessens im Internat anwesend. Ich schaffte es irgendwie, ihr den Teller zukommen zu lassen und sie aß mich für diese Tag frei. Es gab Fleischknödel mit Sauerkraut. Sie sah mein Leid und meinte nur: "Ich weiß nicht was du hast. Schmeckt doch eh nicht so schlecht."

Niemand sah meine Not. Und aus meiner Sicht war es normal. Ich konnte ja noch nicht darüber reflektieren. Das hätten andere machen müssen. Ich musste da alleine durch. So wie durch alle mich überfordernden Situationen, in die ich während meiner Kindheit einfach hinein gespukt wurde. Ich musste einfach selber schauen, wie ich damit umgehe, meist war das nach dem Motto "Augen zu und durch". Das Wochenende bei und mit meinen Eltern war eine Zuflucht. Aber sie selbst waren keine Vertrauenspersonen, denn sie waren es ja, die mich Woche für Woche am Montag wieder in die Hölle deportierten. Ich war in meiner hoffnungslosen Lage ganz allein. Das Betreuungspersonal im Internat wurde dafür bezahlt darauf zu achten, dass die strikte Tagesstruktur von allen eingehalten wird. Sie waren die Hüter der Ordnung. Wichtig war nur darauf zu achten, dass niemand aus der Reihe tanzt. Wie es einem ging, das war kein Thema.

Ich verstand nicht, was da mit mir passierte und warum andere Kinder, mit denen ich den Vormittag in der Klasse verbrachte entweder nach der Schule (extern) aber spätestens dann gegen Abend (halbintern) von den Eltern abgeholt wurden und ich nicht, sondern bis Freitag 16 Uhr warten musste. In meiner kindlichen Sichtweise konnte nur ich und mein Verhalten daran schuld sein. Also versuchte ich das zu optimieren. Ich war extrem ehrgeizig während der Schulzeit am Vormittag und überaus angepasst an die Regeln anschließend im Internat. Ich wollte, dass man mich sieht und als besonders wahrnimmt. Andere werden aufmüpfig und aggressiv um das zu bewerkstelligen. Ich wählte den genau anderen Weg. Im Nachhinein weiß ich, dass die andere Option eher zum Ziel geführt hätte. Jene, die die Ordnung brechen und aufsässig sind werden eher wahrgenommen. Das entspricht nicht meiner Art, aus heutiger Sicht hätte mir das sicher eher geholfen.

Aber meine Eltern gaben mir immer das Gefühl, dass es überhaupt gar keine Alternative zu meiner Lebenssituation gibt. Sie wollten sich nicht damit auseinander setzen. Dafür war die Lösung viel zu gemütlich, aber eben nur für sie.

1. Schultag: Ich wußte noch nicht was mich erwartet.

Mittwoch, 21. August 2013

Die besten Jahre meiner Kindheit

An die Zeit bei Frau Hartl kann ich mich nicht mehr erinnern. Obwohl sie nur eine Lizenz für Babys bis zwei Jahre hatte, durfte ich als Stamm- und Dauergast bis ich zweieinhalb Jahre alt war dort bleiben. Auch weil es für meine Eltern sehr schwer war, eine Nachfolgeeinrichtung für mich zu finden.

In diesem Zusammenhang sei auch einmal das Jugendamt erwähnt: Als ich zur Welt kam waren meine Eltern nicht verheiratet. Damals war es noch üblich, dass das Jugendamt unverheirateten Eltern einen Hausbesuch abstattet. Die Dame vom Jugendamt, damals Fürsorgerin genannt, fand mich gebadet und gepflegt in einem Einfamilienhaus mit Garten vor. Das reichte ihr. Wie es mir sonst ging und meine Lebensumstände waren scheinbar nicht so wichtig. Ganz im Gegenteil. Bei der Suche nach einer Nachfolge von Frau Hartl war die Fürsorgerin dann sogar behilflich. Es gab von ihr ein paar Vorschläge für Teilzeitpflegeeltern. Bei ein bis zwei davon war meine Mutter auch zu Besuch, bis die richtige Unterbringung gefunden war dauerte es aber.

Bei Familie Knotz wurden sie dann fündig. Herr und Frau Knotz waren schon in Pension. Er war früher Vertreter für sonst was und fuhr mit einem VW Käfer durchs Land. Er spielte darüber hinaus Violine und malte Aquarelle. Sie kam aus einer adeligen Familie, die aber alles verloren hatte, angeblich wurden sie irgendwann enteignet. Somit war nichts mehr da vom Glanz vergangener Zeiten. Das machte sie verbittert. Ich habe sie auch als eher zurückgezogen in Erinnerung. Herr Knotz kümmerte sich um den Haushalt und die Kinder. Es lebten nämlich zwei der vier oder fünf Enkelkinder bei ihnen. Die Eltern waren mit so viel Nachwuchs überfordert und gaben Hari und Isabella an die Großeltern ab. Hari war zwei Jahre älter als ich und bei Isabella waren es fünf bis sieben. Für mich waren die beiden wie Geschwister.

Mein neues Zuhause war stilvoll aber schmuddelig. Es gab Bilder an der Wand, Teppiche am Boden und das Haus hatte Altbauflair. Es steht heute noch. Jetzt gibt es dort ein Blumengeschäft und ein Fotostudio. Es liegt an der Grenze zwischen Tullnerbach und Pressbaum, gegenüber vom Billa. Adresse ist Hauptstraße 49. Es gab einen Hund und mindestens eine Katze, ein Aquarium mit bunten Fischen und genug Grün zum Spielen in der Umgebung. Einzig mein Schlaf-/Kinderzimmer war sehr klein und hatte kein Fenster. Hari und ich schliefen in einem Stockbett gemeinsam. Er unten und ich oben. Als ihm die Milchzähe ausfielen bat er mich immer beim Einschlafen eine Geschichte zu erzählen, so lange bis er den Zahn draußen hatte.

Tagsüber waren Hari und Isabella in der Schule. Somit genoss ich die vollste Aufmerksamkeit von Herrn Knotz, den ich kurz Opa nannte. Ich spürte, dass auch er mich sehr mochte. Vielleicht sogar mehr als seine eigenen Enkelkinder. Sie war die große Oma, denn in Purkersdorf gab es noch die kleine Oma, die Mutter meines Vaters. Die Knotz brauchten dringend das Geld, das ihnen meine Mutter für meine Unterbringung zahlte. Die Pensionen der beiden war nicht hoch und vier Menschen (mit mir dann fünf) zu verpflegen kostetet mehr als sie hatten. Oft bat Herr Knotz meine Mutter schon lange vor dem Monatsersten um das Geld für den nächsten Monat.

Unterm Strich waren das die besten Jahre meiner Kindheit. Ich hatte alles was ich brauchte und war von jeglicher Verpflichtung bzw. Struktur (wie Kindergarten oder später Schule) entbunden. Leider war dieses Idyll nur von kurzer Dauer. Nach drei Jahren bei der Familie Knotz traf mich die Realität dafür umso härter. Doch dazu mehr im nächsten Blog-Eintrag.

Im Hof des Hauses Knotz: Hr. Knotz, Hari und ich in der Mitte

Dienstag, 20. August 2013

Meine Geburt

Das ist zwar nicht der Anfang der Geschichte, aber irgendwo muss man ja starten. Also beginne ich bei meiner Geburt. Ich kam am 9. November 1974 um ca. 5 Uhr morgens in Wien als Privatpatient des Sanatorium Hera im 9. Bezirk zur Welt. So weit, so normal. Nur war das für meine Mutter und mich ein verhängnisvolles Ereignis mit fast letalen Folgen. Bei meiner Mutter war die Nachgeburt mit der Gebärmutter verwachsen, konnte sich somit nicht lösen und auf natürlichem Wege abgehen. Stattdessen stellte sie eine klaffende, stark blutende Wunde dar, durch die meine Mutter sehr viel Blut verlor. Damals war es noch üblich, bei solcherart Komplikationen radikal vorzugehen: Meiner Mutter wurden Gebärmutter und Eierstöcke entfernt. Sie war 30 Jahre alt.

Kürzlich erst habe ich mit einer Hebamme darüber gesprochen und es ist sehr wahrscheinlich, dass dieserart Komplikationen auf eine schlecht durchgeführte (zur Zeit der Durchführung noch illegale) Abtreibung zurückzuführen sind. Doch dazu komme ich (viel) später noch zurück. 

Ich hatte Fruchtwasser in der Lunge und konnte somit nicht atmen. Muss der Körper zu lange ohne Sauerstoff auskommen, können Gehirnschäden auftreten. Wäre das heute wohl kein großes Thema mehr, war aus damaliger Sicht Gefahr in Verzug: Mir wurde am Weg in die Kinderklinik Glanzing im Notarztwagen die Lunge frei gepumpt und ich landete zur Beobachtung und Erholung von der schweren Geburt im Brutkasten - getrennt von der Mutter, für die Dauer von langen 20 Tagen. Damals war es noch nicht üblich, die Babys für längere Zeit aus dem Brutkasten an den Körper zu nehmen, sondern nur mit dem Wichtigsten zu versorgen. Somit konnte ich mich schon daran gewöhnen, was mir viele weitere Jahre blühen würde. Meine Mutter musste sie noch viel mehr von der Geburt erholen, bei ihr war es wirklich ein Kampf ums Überleben. Demnach hätte sie sich auch nicht direkt nach der Geburt um mich kümmern können. Ihre Brüste produzierten auch keine Milch, weswegen sie mich auch nie säugen konnte. Wie die Geburt aus ihrer Sicht verlief und was das Trauma mit ihr machte, darauf komme ich auch noch viel später zurück. Hier geht es primär einmal um meine Sicht und mein Erleben. Erwähnenswert an dieser Stelle ist jedoch, dass das Bonding, so wie es üblicherweise bei der Geburt zwischen Mutter und Neugeborenem stattfindet, in diese Fall nicht passierte.

Am 29. November 1974 gab es dann das erste Aufeinandertreffen zwischen mir und meiner Mutter. Ich wurde nach Hause geholt. Nur passte ich so gar nicht in den (Arbeits-)Alltag meiner Eltern. Zwar nahm sich meine Mutter vor, mit dem Tag meiner Geburt nicht mehr auf den Strich zu gehen, aber die besten Kunden kamen nach Terminvereinbarung zu ihr nach Hause, weil das Geldverdienen auf der Prioritätenliste nun einmal ganz oben stand. Sie hat sich nicht die Frage gestellt, wie ihr Leben umorganisiert werden muss, um den Bedürfnissen eines komplett ausgelieferten, von der Zuwendung anderer Menschen (vorrangig der Mutter) abhängigen Neugeborenen zu entsprechen.

Also suchte sie Rat und wurde fündig bei einer Nachuntersuchung im Sanatorium Hera. Dort empfahl ihr ein Oberarzt eine Einrichtung, von der er wusste, dass Krankenschwestern während Nachtdiensten ihre bis zu zwei Jahre alten Babys unterbrachten. Das war eine private "Baby-Station", die von einer diplomierten Säuglings- und Kinderschwester gemeinsam mit ihrer Tante betrieben wurde. Zu zweit haben sie dort bis zu 15 Null- bis Zweijährige Tag und Nacht betreut. Frau Hartl hatte im selben Haus einen Stock unter der Babystation selber eine Wohnung, in der sie mit ihrer eigenen Familie wohnte und nachtsüber via Babyphon arbeitete, während oben sonst niemand anwesend war. Heute würde so eine Einrichtung sofort angezeigt und vom Jugendamt zugedreht werden. Damals hatte sie die offizielle Lizenz für bis zu 12 Babys. Konzipiert war die Unterbringung so, dass man tageweise oder auch einmal über Nacht das Baby abgeben konnte.

Das war für meine Mutter die Lösung all der mit mir in Zusammenhang stehenden Probleme. Sechseinhalb Wochen nachdem ich 20 Tage alt zu Hause eingezogen war, wurde ich dann am  7. Jänner 1975 zu Frau Hartl gebracht und verbrachte ab sofort die Woche durchgehend dort. Am Freitag Nachmittag wurde ich abgeholt und am Montag Vormittag wieder hingebracht. Das sollte noch weitere 14 Jahre so gehen, durch diverse Institutionen hindurch, egal ob Ferienzeit oder nicht. Am Wochenende wurde ich fesch angezogen und in den Luxuskinderwagen gesteckt, damit man sich mit mir auf der Kärntnerstraße promenierend zeigen konnte. Ich war ein weiteres Ding mit dem sich meine Eltern schmückten, genauso wie mit dem Mercedes, den sie zu dieser Zeit fuhren.

Das ist das erste Foto von mir.
Meine Eltern gingen regelmäßig mit mir zu einem Studiofotografen (Kunde meiner Mutter). 
Das ist einer der vergleichsweise seltenen Momente, in denen meine Mutter selbst Hand anlegte.
Die Visitenkarte von Frau Hartl

Montag, 19. August 2013

Cast no shadow

Ein Song, dessen Text mich immer wieder sehr berührt, weil er etwas mit mir zu tun hat und seine Zeilen mir aus der Seele sprechen.
Passend dazu auch mein Profilbild. Auch mir hat man etwas genommen, das in dem Song als eigener Schatten subsummiert wird. Ich mache nun hoffentlich die ersten Schritte, ihn mir zurück zu holen und mit ihm MEIN EIGENES Leben.

OASIS - Cast no shadow

Here's a thought for every man who tries to understand

What is in his hands

He walks along the open road of love and life

Surviving if he can

Bound with all the weight of all the words he tried to say

Chained to all the places that he never wished to stay

Bound with all the weight of all the words he tried to say

As he faced the sun he cast no shadow

As they took his soul they stole his pride

http://www.youtube.com/watch?v=m6thmKcSRwc

"Hurensohn"

Gut, nun ist es eine Woche her, dass ich den Blog begonnen habe und es gibt erst heute den nächsten Eintrag. Das ist kein sonderlich euphorischer Start. Aber wie man sich vielleicht vorstellen kann, ist es nicht immer leicht, alte Geschichten aufzuwärmen. Besonders Geschichten, die mich verletzt haben und ein Teil von mir einfach zurücklassen will. Aber die beste Art und Weise, sie zurück zu lassen ist sicher, sie aufzuschreiben – zumindest glaube ich das nach ein paar Tagen der Überlegung, was ich da eigentlich angezündet habe und ob ich das Feuer wirklich entfachen will. Und ja, ich will!

Zuallererst möchte ich auf einen berechtigten Einwand einer mir sehr nahe stehenden Person eingehen: "Wie kannst du dich nur 'Hurensohn' nennen! Wie kann nur jemand mit einem Fünkchen Selbstwert das tun, unter so einem Namen auftreten. Was macht das nur schlimmes mit dir?"

Ja, das stimmt, auf der einen Seite. Mich hat es auch schockiert, als ich mir selbst diesen Namen gegeben habe, noch dazu, wo ich doch bis dato versucht habe, nicht in die Nähe dieses Schimpfwortes zu kommen, das in einigen Kulturen als das schlimmste Schimpfwort überhaupt gilt. Aber auf der anderen Seite versuche ich mich meiner Vergangenheit zu stellen und dazu gehört auch die Tatsache, dass ich der Sohn einer Frau bin, die die meiste Zeit ihres Erwerbslebens damit verbracht hat, Sex für Geld zu verkaufen. Außerdem ist der Name auch ein wenig reißerisch, damit der Blog auf den ersten Blick interessant wirkt, das gebe ich zu.

Was mir aber am wichtigsten in diesem Zusammenhang ist: Das ist der Umstand, dass natürlich jeder/jede schnell beim Lesen dieses Blogs realisiert: "Das ist im wahrsten Sinne ein HURENSOHN." Und jene, die ein Problem damit haben und mich in Form eines Kommentars als solchen beschimpfen wollen, denen kann ich vorweg schon sagen: nicht nötig, das habe ich schon selbst getan – SO WHAT?! Ja, ich bin das Produkt meiner Mutter und somit ein Hurensohn. Das wurde mir mitgegeben und sagt nichts über meine Qualität als Mensch aus. Weder in die eine, noch in die andere Richtung. Lies einfach weiter und mach dir dein eigenes Bild. Aber vergiss einmal deine Vorurteile.

Montag, 12. August 2013

Copyright-Lizenz

Mein hier veröffentlichtes Gedanken- und Bildgut steht unter der Creative-Commons-Lizenz: Namensnennung – Keine kommerzielle Nutzung – Keine Bearbeitung.
Das heißt im Klartext: Sie dürfen meine unveränderten Inhalte unter Nennung meines Aliases „hurensohn“ nutzen, vervielfältigen und verbreiten, es sei denn, Sie tun dies zu einem kommerziellen Zwecke.
Sie wollen mehr als das? Dann schreiben Sie mir an:
aus.dem.leben.eines.hurensohns [at] gmail.com
Da lässt sich bestimmt etwas machen.

Die vollständige Lizenzerklärung finden Sie hier:
http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/de

Erste Schritte

Also das sind sie nun, mein ersten Schritte dabei, meine Geschichte öffentlich zu machen. Das könnte der Anfang von etwas ganz Großem werden...