Mittwoch, 4. September 2013

Mein "Vater"

Hier ist nun die Rede von dem Mann, der offiziell die Vaterschaft anerkannte und ist jener, der mit meiner Mutter bis zu seinem Tod zusammen gelebt hat. Diesen Mann nannte ich „Papa“. Es gibt derzeit kein Wort, das ausdrückt, was er für mich war und ist. Er war zumindest von allen Männern jener, der die meiste Zeit an meiner Seite verbrachte, wenngleich das auch nicht viel war.

Er wurde 1937 geboren. Sein Vater starb im Zweiten Weltkrieg an der Front. Für seine Mutter, meine „kleine Oma“, war er ab dann der einzige Mann in ihrem Leben um den sie sich den Rest ihres Lebens kreisen sollte, denn sie war danach nie wieder liiert. Sie bekam von der Gemeinde Wien als Kriegswitwe eine kleine Gemeindewohnung mit einem Holzofen und kaltem Fließwasser. Um sich und ihren Sohn durchzubringen nahm sie Gelegenheitsjobs wie Putzen gehen oder Nüsseknacken an, denn Beruf hatte sie keinen gelernt. Damals war der Mann der Familienerhalter, während die Frau zu Hause bei den Kindern blieb. Das war auch der Plan, bis ihr Hitler einen Strich durch ihr Leben machte. Gegen Ende des Krieges wurde er, wie damals viele Kinder, „zur „Erholung“ ins Ausland geschickt. Er kam nach Holland. Die Pflegeeltern wollten ihn sogar adoptieren, aber dem willigte seine Mutter natürlich nicht ein.

Aufgrund der Kriegswirren mussten sie mehrmals umziehen und er deshalb öfters die Schule wechseln oder pausieren. Seine schlechten Zeugnisse waren gut versteckt. Niemand sollte sie je zu Gesicht bekommen. Er wollte Elektriker werden, fand dann aber keine entsprechende Lehrstelle und begann als Schlosserlehrling. Diese Ausbildung machte er aber nie fertig. Angeblich führte das Hantieren mit dem vielen Metall dazu, dass er Bettnässer wurde, weshalb er die Lehre beenden musste. Klingt dubios, könnte aber auch so gewesen sein. Letztendlich landete er bei der Post als Briefträger.

Er lernte eine Burgenländerin kennen, sie heirateten und bekamen einen Sohn namens Roman. Sie hatten um eine größere Wohnung angesucht, denn sie wohnten noch immer alle zusammen in der kleinen Wohnung auf 30 Quadratmetern. Unter Anderem kam es deshalb zu Streitigkeiten und Gewaltausbrüchen. Er war grundsätzlich ein eher gemäßigter Charakter, konnte aber sehr cholerisch werden. Schließlich wurde die Ehe bald geschieden. Bei der Scheidung gab sie zu Protokoll, dass er den Sex verweigert hatte, weshalb sie mit einem anderen Mann fremdging.

Es war Mitte der 1960er-Jahre und er war in seinen Endzwanzigern, als er am Strich meine Mutter kennen lernte. Sie waren sich sympathisch und sie nahm ihn zu sich nach Hause. Das Haus, in dem meine Mutter damals lebte, hatte sie mit viel Schulden von ihrer Adoptivmutter geerbt. Es war noch nicht ganz fertig gebaut und schon wieder baufällig. Als er das sah, fing er tags darauf gleich an, sich in Haus und Garten nützlich zu machen. Das imponierte meiner Mutter, denn er war nicht der Erste, den sie zu sich nach Hause mitgenommen hatte. Die anderen Männer wollten keine Finger rühren und meinten, sie könnten ja jetzt ihre Arbeit kündigen, schließlich verdiente meine Mutter ja ohnehin genug Geld für beide. Mit dieser offensichtlichen Zuhältermentalität konnten sie bei meiner Mutter nicht punkten. Aber dieser Mann war anders. Auch er kündigte seinen Job, aber ihm war klar, dass er sich einen anderen Job suchen würde, einen der zu den Arbeitszeiten meiner Mutter passte. Und somit wurde er Beleuchter in einem Nachtlokal, dem Maxim.

Gemeinsam ließen sie Haus und Garten herrichten, während sie gleichzeitig kleinweise die Schulden abbezahlten. Anfang der 1970er-Jahre war dann das kleine Idyll perfekt. Fertig für Nachwuchs. Zum Ausprobieren legten sie sich einen Hund zu, einen Königspudel namens Hexi. Immer wieder beklagten sich die Nachbarn, weil Hexi oft alleine zu Hause war und in den Keller gesperrt wurde, weshalb sie stundenlag bellte. Damals wurde schon sichtbar, dass meine Eltern nicht bereit waren, ihr Leben den Bedürfnissen eines anderen Lebewesens anzupassen.

In meinem Geburtsjahr 1974, er war mittlerweile 36 Jahre alt, sattelten meine Eltern beruflich um und gründeten ein Taxiunternehmen. Sie war die Unternehmerin und er ihr Angestellter. Beide machten sie den Taxischein. Er war wieder kein guter Schüler und aufgrund schlechter Aussichten auf eine positive Prüfung musste meine Mutter schon hochschwanger für den Prüfer die Beine breit machen. Somit war sein Durchkommen gesichert.

Wie schon in einem anderen Eintrag erwähnt, war der Plan, dass sie ab meiner Geburt nicht mehr auf den Strich geht, die besten Kunden weiterhin zu Hause empfängt und irgendwann auch Geld mit dem Taxifahren verdient. Sie versuchte es auch, doch dieser Job behagte ihr nicht besonders und es gab ein schlagendes Argument dagegen, das er immer wieder ins Treffen führte: Meine Mutter konnte in der halben Zeit das Doppelte verdienen. Somit war der Plan zum Scheitern verurteilt und jenes Lebenskonzept, innerhalb dessen ich hätte halbwegs normal aufwachsen können, auch.

Er war wesentlich an diesem Scheitern beteiligt, weil er meine Mutter eher dahingehend beeinflusste ihren Job weiter auszuüben, als ihr das Taxifahren schmackhaft zu machen. Letztendlich lief alles in seine Richtung: Er war nun Haus(mit)besitzer mit zwei Mercedes in der Garage, es war anfangs genug Geld da (zB für protzigen Goldschmuck, den er gern zur Schau trug) und ich wurde bald abgeschoben, damit dem Geldverdienen nichts im Wege stand. Somit hatte er sie die meiste Zeit für sich allein, so wie er es von seiner Mutter gewohnt war. Als er meine Mutter kennenlernte, lebte er mit seiner Mutter in einer winzigen Gemeindewohnung und besaß ein Moped, das er noch nicht abbezahlt hatte. Für ihn hatte sich die Bekanntschaft somit in jeder Hinsicht ausgezahlt. Er war zwar auf den ersten Blick kein Zuhälter, jedoch hatte er diese Mentalität (mittlerweile) verinnerlicht.

Viele Jahre später konfrontierte ich ihn mit meiner miesen Kindheit. Doch er war gänzlich uneinsichtig und meinte nur, ich hätte ja alles gehabt. Aus seiner Sicht stellte das materielle Auslangen den größten Wert dar, weil er diesbezügliche Entbehrungen in der Kindheit hinnehmen musste. Aber die eigene, sich um einen kümmernde Mutter an der Seite, das war wenig wert, denn das war in seinem Leben immer vorhanden. So gesehen hatte ich ja wirklich „alles“. Es gab nie wieder eine diesbezügliche Aussprache.

65-jährig ging er 2002 in Pension. Bis dahin träumte er von so vielen Dingen, die er sich somit erfüllen würde, wie zum Beispiel gemeinsame Reisen mit meiner Mutter. Nach einer weitgehend selbst durchgeführten Hausrenovierung wurde er jedoch immer träger und frönte die meiste Zeit seinem Lieblingshobby, dem Fernsehen. Kurz nach Pensionsantritt schafften es meine Eltern für zwei Jahre mit dem Rauchen aufzuhören. Doch dann fing meiner Mutter nach dem Tod einer guten Bekannten wieder damit an und er zog mit. 2007 wurde bei ihm dann nach mehr als 50 Raucherjahren Lungenkrebs festgestellt. Es gab dann sogar zwischenzeitlich Erfolgsmeldungen und eine Verbesserung seines Gesundheitszustandes, doch er rauchte weiter und starb letztendlich Anfang November 2009.

Im Juni 2010 ging ich dann zu einem Anwalt und leitete eine Vaterschaftsfeststellung in die Wege, weil ich mir endlich sicher sein wollte, wer denn wirklich mein Vater war. Bis dahin gab es nur diese Geschichte meiner Mutter, die aber viele Lügen in ihrem Leben verbreitet hatte. Trotzdem wartete ich aus Loyalität ihr gegenüber mit diesem Schritt so lange zu. Nach einem zähen und langwierigen Verfahren war es dann am 9. Jänner 2012 amtlich: Ich stammte wirklich nicht von ihm ab. Aber von wem dann? Mehr zu meinem Erzeuger gibt es im nächsten Eintrag.

Mein Vater als Kind mit seinen Eltern
Mein Vater in jungen Jahren
Gemeinsam bei meinem 14. Geburtstag in der Küche des Elternhauses

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