Ein Kunde meiner Mutter namens Weinhappel lebte in einem
Pensionistenheim in Oberdöbling. Er war mehr als ein Kunde. Zu ihm hegte sie
väterliche Gefühle. Er war bekennender Marxist und wirkte in seiner Erscheinung
weise. Er selbst hatte keine Kinder und seine Frau war schon verstorben. Er konnte
in seinem Leben einiges an Geld sparen, hatte keine Erben und suchte
Familienanschluss. So kam es, dass es Besuche von meiner Mutter alleine gab und
welche als Familie, zu denen ich auch mitkommen musste. Mir wurde er als
Erbonkel vorgestellt. Er wollte sein marxistisches Gedankengut an mich weiter
geben. Mich interessierte das damals überhaupt nicht. Ich tat meinen Eltern
einen Gefallen, weil er ihnen ein Erbe in Aussicht stellte.
Kurze Zeit nach der Besichtigung meiner neuen Schule stand
ein Weinhappel-Besuch an. Meine Mutter und ich waren am Weg zu ihm, als sie mir
sagte, dass er mir etwas Wichtiges bekannte geben würde. Bei ihm angekommen
ging sie wieder und ich saß mit ihm alleine da. Er sagte mir, dass meine Mutter
ihn bat, mir etwas zu sagen, was sie selber nicht schaffen würde, er mir das aber
nur sagen würde, wenn er mir die ganze Wahrheit sagen dürfte. Meine Mutter hatte dem im Vorfeld eingewilligt. Er setzte mich darüber in Kenntnis, dass meine Mutter zu dieser
Zeit Prostituierte war und noch immer diesen Beruf ausübte. Nicht auf der
Straße aber von zu Hause aus. Das war jene Offenlegung, um die ihn meine Mutter
gebeten hatte. Was er mir aber zusätzlich und somit als ganze Wahrheit präsentierte war, dass
mein Vater sicher nicht mein echter Vater sei.
Ich war wie paralysiert. Einerseits verstand ich die Worte
und den Inhalt dieses Gesprächs, andererseits konnte ich nur schwer etwas damit
anfangen und mit mir in Zusammenhang bringen. Ich dachte mir, das hätte nichts
mit mir zu tun. Unterbewusst fing aber an eine Maschinerie zu arbeiten. Ich begann
mich für meine Eltern, das Haus und ihr Leben zu schämen, was auch auf mich und
meinen Selbstwert abfärbte. Aber noch viel schlimmer war die Tatsache, dass
mich meine Mutter in ihr Lügenkonstrukt hinein zog. Am Weg nach Hause sagte sie
mir, ich dürfe mir nichts anmerken lassen. Sie hatte alles so eingefädelt,
damit mein vermeintlicher Vater glaubt, er wäre der Leibliche. Würde er die Wahrheit erfahren, müsste man mit einer heftigen Reaktion rechnen. Es könnte sogar sein,
dass er sich, mich oder uns alle drei ermordet. Als Taxifahrer hatte er eine
Waffenbesitzkarte und es gab zwei Schusswaffen im Haus. Sie erzählte mir auch
von einem Vorfall, als er auf sie schoss. Dazu aber später.
Tatsache ist, dass mein Verhältnis zu meinem Vater ab diesem
Tag gestört war. Ich musste ihm ab dann
einen Sohn vorspielen, von dem ich selbst zweifelte, dass ich es war. Ich
entfernte mich innerlich somit zusehends von ihm. Gleichzeitig tat er mir aber
auch leid, weil ihn meine Mutter so gehörnt hatte. Andererseits hatten seine dominanten
Interessen mich nicht meinen Platz im Leben meiner Mutter und im Elternhaus
finden lassen. Wie auch immer, meine Haltung ihm gegenüber wurde mit der Zeit immer
indifferenter.
Im Sommer vor dem Schulwechsel verbrachte ich fünf Wochen
durchgehend im Ferienhort am Wolfgangsee. In diesem Alter war so ein
Ferienlager keine schlimme Sache mehr. Ich konnte mich frei auf dem großen,
bewaldeten Gelänge bewegen oder das vielfältige Sportangebot nützen. Erste
Kontakte zu Mädels waren auch schon Thema – eine aufregende Zeit. Während
meines Aufenthaltes dort kamen mich meine Eltern ein Mal besuchen. Im Zuge
dessen erklärten sie mir folgendes: Die Kunden, die meine Mutter zu Hause empfing,
waren noch aus er Zeit vor meiner Geburt und starben aus. Das Taxigeschäft ging
immer schlechter und somit war es notwendig geworden, dass meine Mutter mit
ihren 44 Jahren wieder auf den Straßenstrich geht. Ich nahm es zur Kenntnis und
wusste noch nicht, was das für mein weiteres Leben zu bedeuten hatte. Ich nahm
es hin und sah es als Deal, denn nichts war mir wichtiger als mein neuer
Lebensabschnitt ohne Vollinternat, was wie ein Leben in absolute Freiheit
anmutete. Die neuen Erkenntnisse und erschwerten Lebensumstände waren aus
meiner Sicht die Opfer, die ich dafür erbringen musste.
Nachdem meine Oma ja noch immer mein Zimmer besetzte und ich
nun durchgehend jede Nacht zu Hause schlief musste eine Wohnmöglichkeit für
mich geschaffen werden. Ich bekam ein eigenes Bett, das im Elternschlafzimmer
am Fußende ihres Bettes platziert wurde und einen eigenen Raum am Dachboden.
Dorthin kam man nur über eine Leiter und die Raumhöhe war so, dass ich nicht
aufrecht stehen konnte. Dieser Raum wurde nicht Kinderzimmer sondern Hobbyraum
genannt. Dort oben hatte ich einen eigenen Schreibtisch, eine Matratze und
einen Fernseher mit angesteckter Spielekonsole. Meine Legoeisenbahn stand davor
schon da. Dort oben allein zu spielen machte mir aber nie wirklich Spaß.
Meine Eltern standen im Laufe des Nachmittags auf. Um 18 Uhr
kam ich dann von der Schule. Danach gab es ein gemeinsames Essen bevor sie
zwischen 20 und 21 Uhr das Haus verließen. Er fuhr mit dem Taxi bis ca. sechs
Uhr und sie ging auf den Strich bis ca. drei Uhr. Ich war mit meinen fast 14
Jahren glücklicherweise in der Nacht nicht alleine im Haus. Meine über
80jährige Oma war auch noch da. Als ich um sieben Uhr aufstand war sie schon wach
und mein Vater war meist auch noch auf. Er sah sich Sendungen im Fernsehen an,
die er sich am Abend davor aufgenommen hatte.
Dienstagabend kam immer ein Kunde um 18 Uhr. Er durfte nicht
wissen, dass ich nicht mehr im Internat war und sogar zur selben Zeit im Haus.
Vor ihm musste ich mich immer verstecken. Ich bekam mit, wie er sich zur
Einstimmung mit meiner Mutter im Wohnzimmer einen Porno ansah und dann mit ihr
in den Keller ging.
So ging das ein Jahr lang, bis ich dann ab der Oberstufe
auch die Nachmittage nicht im Internat war. Meistens verbrachte ich diese bei
einem Freund. Seine Eltern lebten in einer alten Villa in Purkersdorf und waren
sehr nett zu mir. Aus meiner Sicht lebten sie ein Familienidyll und
verkörperten genau das Gegenteil von dem, was ich zu Hause vorfand. Ich machte
oft auch meine Hausübungen dort und konnte mitessen. Mein Elternhaus war ab
dann nur noch ein Ort an dem ich schlief, mich duschte und wo ich Geld und
Essen bekam. Ich lebte mein eigenes Leben. Ich versuchte mit den Gleichaltrigen
in meinem Umfeld, die aus meiner damaligen Sicht in normalen und somit
besseren Verhältnissen aufwuchsen, mit zu halten. Trotzdem konnte die ganze
Verschleierung jederzeit auffliegen. Es musste nur jemand aus meinem Leben meine Mutter auf der Felberstraße stehen sehen...
Mein erstes eigenes Zimmer, der "Hobbyraum" |
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